Krieg in der Ukraine: "Ich musste meine Heimat verteidigen"
DW
Nach Russlands Angriff gingen viele Ukrainer freiwillig an die Front, um für ihr Land zu kämpfen. Konstantin Goncharov war früher Journalist für die DW in Kiew. Jetzt ist er Soldat. Hier ist seine Geschichte.
Konstantin Goncharov arbeitete bis 2022 als Journalist für die Deutsche Welle. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges gab er, wie viele andere Ukrainer, seinen Job auf und meldete sich freiwillig als Soldat in der ukrainischen Armee. Bis zu seiner tatsächlichen Einberufung war Goncharov noch als Reporter im Kriegsgebiet tätig, seit seiner Rekrutierung arbeitet er jedoch nicht mehr für die DW. Dies ist sein rein persönlicher und subjektiver Erfahrungsbericht nach einem Jahr Krieg in seinem Heimatland. Als die großangelegte russische Invasion begann, befand ich mich gerade mit meiner Familie in Deutschland, wohin ich kurz zuvor gereist war. Am 24. Februar 2022 um 4 Uhr morgens Kiewer Zeit begann der umfassende Krieg, den Russland gegen die Ukraine entfesselt hat, und es begann gerade auch meine Schicht in der Nachrichtenredaktion. Von dem Moment an, als Wladimir Putin seine sogenannte "militärische Sonderoperation" bekannt gab, schrieb ich online über die ersten russischen Raketen, die auf meine Heimatstadt Kiew fielen, und über die endlosen Kolonnen russischer Panzerfahrzeuge, die die Grenze der Ukraine durchbrachen.
Die russischen Aggressoren bombardierten den Kindergarten und die Schule, in die meine Kinder gingen. Ballistische Raketen und Marschflugkörper schlugen in der Nähe des Hauses ein, in dem meine Eltern leben und wo ich selbst einen großen Teil meines Lebens verbracht habe. Obwohl ich nie etwas mit der Armee zu tun hatte, russischsprachig war und mich nie mit einer "Wyschywanka", einem traditionell bestickten ukrainischen Hemd, gebrüstet hatte, blieb mir doch keine andere Wahl, als in die Ukraine zurückzukehren und meine Heimat zu verteidigen. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich im Ausland geblieben wäre oder auch nur daran gedacht hätte, einige Zeit an einem sicheren Ort einfach alles auszusitzen.
Meine Reise von Deutschland nach Kiew dauerte 36 Stunden. An der polnisch-ukrainischen Grenze zeigte sich ein Bild des Schreckens: Um die Ukraine zu verlassen, standen Tausende Menschen und Hunderte Autos in Schlangen, die Dutzende Kilometer lang waren. Frauen und Kinder, aber auch Männer, die ihnen halfen, die vom Krieg erschütterte Ukraine zu verlassen, mussten die Winternacht im Freien verbringen. Die Menschen zündeten Lagerfeuer an, und wer konnte, wärmte sich in den Autos auf. Am Straßenrand lagen Matratzen, überall waren warme Sachen und Müll verstreut. Um die Grenze in Richtung Ukraine zu überqueren, brauchte ich nur ein paar Minuten. Am Kontrollpunkt waren außer mir noch zwei andere Personen. Weitere Menschen, die in die Ukraine einreisen wollten, sah ich nicht.
Ich war in großer Sorge, ich könnte Kiew nicht rechtzeitig erreichen, weil die russischen Truppen bereits im Anmarsch auf die Hauptstadt waren und offenbar vorhatten, sie zu erobern oder zumindest zu belagern. Zudem konnte man in die Stadt nur von Süden aus gelangen, alle anderen Wege waren schon zu gefährlich. Autofahrer weigerten sich, überhaupt dorthin zu fahren, oder verlangten dafür astronomische Summen.
Ich kaufte drei Fahrkarten für verschiedene Züge von Lwiw nach Kiew, doch sie alle fielen aus. Meine Heimatstadt konnte ich nur mit einem Evakuierungszug erreichen, der Kriegsflüchtlinge in die Westukraine brachte und dann fast leer nach Kiew zurückkehrte, um dort die nächsten Menschen abzuholen. Mein Pass, in dem meine Kiewer Wohnadresse steht, wurde zu meiner Fahrkarte. Ohne jegliches Licht, in völliger Dunkelheit, fuhr der Zug durch die halbe Ukraine und kam in einem Kiew an, dessen Straßen beinahe menschenleer waren. So habe ich die Stadt noch nie erlebt. Noch nie gesehen habe ich auch solch lange Menschenschlangen vor den Militärkommissariaten, wo in den ersten Tagen Hunderte anstanden, um sich für die Armee zu melden. Die meisten von ihnen schafften es gar nicht, an die Reihe zu kommen, bevor die Ausgangssperre am Abend begann.