Hessen: Debatte über „dunkles Kapitel“ Berufsverbote
Frankfurter Rundschau
Linke und SPD in Hessen fordern Aufarbeitung des Radikalenerlasses, Innenminister Beuth warnt vor Extremisten im Staatsdienst
Die Linke und die SPD fordern eine Aufarbeitung der Berufsverbotspraxis in den 1970er Jahren und eine Rehabilitierung der betroffenen Menschen. Der Radikalenerlass von 1972 sei „ein dunkles und unrühmliches Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagte der Linken-Fraktionsvorsitzende Jan Schalauske am Donnerstag im Hessischen Landtag. Es solle in einer Expertenkommission umfassend aufgearbeitet werden. Vor dem Landtag demonstrierten Betroffene gemeinsam mit Gewerkschaften.
Die SPD-Abgeordnete Heike Hofmann sagte, der Erlass habe „zu immens viel Leid, dem Abbruch von beruflichen Karrieren und erheblichen finanziellen Einbußen“ bei den Betroffenen geführt. Hofmann räumte ein, dass SPD-Politiker maßgeblich an der Einführung des Radikalenerlasses beteiligt waren. Sie hätten aber die Größe gehabt, aus diesem Fehler zu lernen, fügte die Sozialdemokratin hinzu.
Am 28. Januar 1972 hatten Bund und Länder beschlossen, dass sämtliche Bewerberinnen und Bewerber für den öffentlichen Dienst vom Verfassungsschutz überprüft werden sollten – und zwar nicht nur Lehrerinnen oder Richter, sondern auch Briefträgerinnen oder Lokführer. Offiziell sollte die Regelung dafür sorgen, dass Rechts- und Linksextremist:innen aus dem Staatsdienst ausgeschlossen bleiben. De facto richtete sich der Erlass aber im Wesentlichen gegen gesellschaftskritische Linke.
Auch die Regierungsparteien CDU und Grüne sowie die oppositionellen FDP und AfD halten das damalige Vorgehen heute für falsch. Die Verantwortlichen hätten „überschießend agiert“, formulierte der Grünen-Abgeordnete Daniel May. Viele Menschen seien „zu Unrecht abgestempelt worden als Verfassungsfeinde“.
Die Landtagsmehrheit wandte sich aber gegen eine pauschale Rehabilitierung aller Betroffenen. Vielmehr könne nur im Einzelfall entschieden werden, ob der Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst berechtigt gewesen sei oder nicht. Noch heute gelte: „Wir müssen verhindern, dass Extremisten jedweder Couleur für diesen Staat arbeiten“, stellte Innenminister Peter Beuth (CDU) fest. „Selbstverständlich erwarten wir immer und von jedem im öffentlichen Dienst Verfassungstreue“, fügte der CDU-Abgeordnete Christian Heinz hinzu.