Erfahrungsberichte von Tausenden verprügelter und missbrauchter Frauen erschüttern den Balkan
Frankfurter Rundschau
„#NisamPrijavila“ – „Ich habe (ihn) nicht anzeigt“: Auf dem Balkan verschaffen sich Zehntausende Opfer häuslicher Gewalt über Social Media Gehör.
Vranje - Wie werden Liebes- und Familienglück idealisiert – und wie alptraumhaft kann die Realität sein: Seit einigen Tagen erschüttern die Erfahrungsberichte von Tausenden verprügelter und missbrauchter Frauen die Webwelten in den ex-jugoslawischen Staaten. „Tapfere Mädchen lösen eine Frauenrevolution in Serbien aus“, titelt die Belgrader Zeitung „Blic“.
Ausgelöst hatte die Lawine verstörender Berichte ein Tweet der serbischen Politologin Nina Stojakovic, wonach ihre Schwester über anderthalb Jahre lang immer wieder vom Partner verprügelt worden war. Bevor sie nach einem Selbstmordversuch den Mut aufbrachte, ins Elternhaus zurückzukehren. Bei der Polizei sei ihr gesagt worden, dass man nichts tun könne, weil es keinen ärztlichen Untersuchungsbericht gebe, „obwohl es mehrere Zeugen gibt, die ihre Verletzungen und aufgeplatzten Lippen gesehen haben“: „Warum hatte sie ihn nicht früher angezeigt? Weil sie einfach bis auf die Knochen verängstigt war.“
„#NisamPrijavila“ – „Ich habe (ihn) nicht anzeigt“ – nennt sich der in der letzten Woche veröffentlichte Twitter-Hashtag, unter dem bereits in den ersten 48 Stunden mehr als 20.000 Frauen über ihre traumatischen Erfahrungen berichten. In Serbien aber werde Twitter nur von drei bis vier Prozent der Bevölkerung genutzt, also von um die 250.000 Menschen, so die Initiatorin Dejana Stosic, Mitarbeiterin des SOS-Frauen-Telefons in Vranje.