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Ein schwuler Starkomponist für Putins Russland
Die Welt
Manch einer wollte den russischen Beitrag zum Filmfestival in Cannes canceln. Es wäre bitterschade gewesen. Denn Regisseur Kirill Serebrennikov erzählt eine wahre Geschichte, die dem Putinismus nicht schmeckt. Die des homosexuellen Tschaikowskys. Und vor allem die seiner Frau.
Moskau, in den Siebziger-, Achtzigerjahren des vorvergangenen Jahrhunderts, kurz bevor die Zuckungen der Zarenzeit einsetzen. Die Gesellschaft ist, wie man heute sagen würde, klassistisch brutal geschieden: hier der Adel, die Offiziere, die Beamten, die bewunderten Künstler; dort die Bediensteten, die Boten, die Küchenmädchen. Ganz unten, in der stinkenden, morastigen Gosse, bei den Ratten, der Abschaum: Bettler, Tagelöhner, Gaukler, Krüppel.
In einer Szene des epischen, zweieinhalb Stunden langen neuen Films von Kirill Serebrennikov, „Tchaikovsky’s Wife“, der in Cannes im Wettbewerb läuft, reißt eine verrückte Bettlerin in religiöser Verzückung ihr Hemd auf, dicke Brüste quellen heraus. Sie begehrt ihren Herren, Jesus Christus, den leibhaftigen Gott. In der Ekstase zieht sie Antonina Miliukova zu Boden. Die rappelt sich auf, flieht in die Arme einer anderen Frau, die stammelt: „Ein gutes Omen.“