Ein Beruf verschwindet
Frankfurter Rundschau
Gibt es auf dem Land bald keine Ärztinnen und Ärzte mehr?
Ein Freund wurde nach gemeinsamen Studienzeiten Landarzt im hohen Norden. In großen Abständen trafen wir uns über die Jahre, und dann legten wir unsere Berufe nebeneinander, er Generalist allein auf weitem Land, ich Chirurg in einem Krankenhaus der Maximalversorgung in der Großstadt. Verschiedener können Berufswelten kaum sein. Ich als Teil eines großen Teams in täglichem Austausch, er immer und mit allem ganz auf sich allein gestellt. Ich mit festem Gehalt, er mit wechselnden Punktwerten. Ich mit geregelter Arbeitszeit, er immer und jederzeit im Einsatz.
Seine Patient:innen kamen auch bei geschlossener Praxis mitunter hinter sein Haus in den Garten und klopften an die Scheibe, auch sonntags, auch an Weihnachten. Aber dennoch strahlte er eine beneidenswerte Zufriedenheit mit seiner Arbeit aus, er kannte seine Patient:innen, und er kannte deren Familien, teilweise über Generationen hinweg. Seine Arbeit als Landarzt gab ihm eine große Befriedigung.
In Deutschland gab es Ende des Jahres 2020 rund 537 000 Ärztinnen und Ärzte, von denen etwas über 410 000 in ihrem Beruf tätig sind, statistisch kommt also eine Ärztin oder ein Arzt auf etwa 200 Einwohner. Im Krankenhaus arbeiten 212 000, im ambulanten Bereich 161 000, davon 115 000 niedergelassen in eigener Praxis. Das wären knapp 700 Einwohner pro Praxis. Man hört zwar oft von einem Ärztemangel, aber diese Zahlen sehen eigentlich nicht nach einem Mangel aus.
Doch die Tücke steckt im Detail. Betrachtet man nur die etwa 44 000 Fachärzt: innen für Allgemeinmedizin, so fällt auf, dass mehr als 17 000 von ihnen über 60 Jahre alt sind, das sind fast vierzig Prozent! Daraus erwächst ein gigantisches Nachfolgeproblem. Das Interesse junger Ärztinnen und Ärzte an einer hausärztlichen Tätigkeit wird aber von Jahr zu Jahr kleiner, und es gibt inzwischen immer mehr Arztpraxen, für die keine Nachfolge zu finden ist und die einfach nur zumachen. Bei einer Umfrage unter Medizinstudierenden landete die hausärztliche Tätigkeit zwar auf dem zweiten Platz, hinter der Inneren Medizin, aber etwa die Hälfte der Befragten konnte sich eine Tätigkeit auf dem Land nicht vorstellen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geregelte Arbeitszeiten im Team und ein Freizeit- und Kulturangebot sind dem ärztlichen Nachwuchs heute mindestens genauso wichtig wie eine befriedigende Arbeit.
Das ist aber mit einer Landarztpraxis mit 60 bis 80 Stunden Wochenarbeitszeit nicht zu verwirklichen. Das gilt übrigens genauso für die Kinderheilkunde, bei der noch eine miserable Vergütung als weitere Abschreckung hinzukommt. Die fachärztliche Versorgung in den Städten wird also boomen, die haus- und kinderärztliche Versorgung auf dem Land wird mehr und mehr zusammenbrechen. Da – und nur da ist der Ärztemangel zu lokalisieren.