Bachmut: Wie wird der Kampf um die Stadt ausgehen?
DW
Die russischen Truppen konzentrieren sich auf Bachmut als wichtigstes Angriffsziel im Donbass. Wie lange kann die ukrainische Armee die Stadt verteidigen - und mit welchem Kriegsverlauf ist in nächster Zeit zu rechnen?
Sowohl für die ukrainischen als auch die russischen Streitkräfte hat Bachmut große strategische Bedeutung, sagt Marina Miron, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Militärethik am King's College London. Die Eroberung der Stadt würde einen weiteren Vormarsch russischer Truppen bedeuten - etwa in Richtung Kramatorsk. "Sie würden dann wichtige Straßen kontrollieren, die ukrainischen Streitkräfte abschneiden und ihnen die Verteidigung erheblich erschweren", sagt sie. Zudem würde dies die Kampfmoral der ukrainischen Truppen schwächen und auch bei westlichen Partnern Zweifel an den Fähigkeiten der ukrainischen Streitkräfte wecken.
Darauf verweist auch der deutsche Oberst a. D. Ralph Thiele, ehemaliger Mitarbeiter im Private Office des NATO-Oberbefehlshabers. "Auch die ukrainische Seite wird hier im Grunde genötigt - auch von ihren westlichen Partnern - Erfolge zu bringen. In irgendeiner Form muss ja auch in der Öffentlichkeit ständig begründet werden, warum diese große Unterstützung für die Ukraine stattfindet", unterstreicht der Militärexperte.
Thiele betont auch den psychologischen Faktor, der mit der Verteidigung von Bachmut verbunden ist. "Die Menschen müssen in irgendeiner Form motiviert werden, durchzuhalten. Das geht dann natürlich als Signal auch durch die ganze Ukraine - für die Zivilbevölkerung, aber auch für die Soldaten an anderen Orten", sagt der Militärexperte und fügt hinzu, dass der große Aufwand, den beide Seiten für die Eroberung beziehungsweise Verteidigung der Stadt betreiben würden, nicht zu rechtfertigen sei.
Mike Martin, Forscher am King's College London, meint, Russland versuche so beharrlich Bachmut einzunehmen, weil dies Putins erklärtem Kriegsziel, "den Donbass zu befreien", entspreche. "Wenn man sich ansieht, wie die Straßen und das Schienennetz verlaufen, dann gibt es zwei größere Städte westlich von Bachmut, die noch im Donbass liegen, und zwar Slowjansk und Kramatorsk. Um sie zu erobern, was er für sein strategisches Ziel braucht, muss er zuerst Bachmut einnehmen", so der Experte.
Ralph Thiele schätzt die Chancen der Ukrainer im Kampf um Bachmut als geringer ein. Ihm zufolge hat die russische Armee die Stadt fast umzingelt. "Es gibt einen kleinen, vier Kilometer breiten Streifen, der noch frei zugänglich ist, für Flucht, Verstärkung oder Nachschub. Aber vier Kilometer sind nichts und drumherum liegen die Russen wie ein Hufeisen und versuchen, dieses Hufeisen an den Enden zusammen zu biegen", so Thiele.