Amnesty-Jahresbericht: Das Jahr der gebrochenen Versprechen
DW
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International blickt zurück auf 2021. Für Menschen- und Bürgerrechte war es ein dunkles Jahr mit enttäuschten Hoffnungen - und einer zunehmenden Macht der digitalen Technik.
"2021 war ein Jahr mit wirklich vielen Versprechungen. Die Realität sah dann komplett anders aus." So fasst Philip Luther, einer der Autoren, die Erkenntnisse des Jahresberichts von Amnesty International zusammen. Die Organisation schaut sich jährlich die Entwicklung in 154 Ländern an und leitet daraus in einer globalen Analyse die wichtigsten Trends bei der Lage der Menschen- und Bürgerrechte ab. 2021 habe es für Menschen auf der ganzen Welt die Hoffnung gegeben, "fair aus der Pandemie zu kommen". Doch gerade reichere Länder hätten eine breite Herstellung und Verteilung von Impfstoffen verhindert, so Luther. Im Jahresbericht heißt es schlicht: "Weniger als acht Prozent der 1,2 Milliarden Menschen in Afrika waren am Jahresende vollständig geimpft, die niedrigste Rate weltweit und weit entfernt vom 40-Prozent-Impfziel der WHO."
Doch im Pandemiejahr 2021 hat nicht nur fehlender Impfstoff für Enttäuschungen gesorgt. Die Untersuchung zeigt: Viele Regierungen haben die Pandemie genutzt, um Opposition und Zivilgesellschaft zu unterdrücken und einzuschränken. "Das ist etwas, was für alle Regionen gilt, und das ist einer der Gründe, warum wir das in unserer globalen Analyse hervorgehoben haben. Einige Regierungen haben die Pandemie ganz gezielt als Vorwand genutzt, um die Meinungsfreiheit einzuschränken", sagt Luther der DW. Beispiele für Länder, in denen Proteste aufgelöst und Menschenrechtler in Gefahr waren, sind Kambodscha, Russland, China und viele weitere.
Aber auch abseits von Corona gerät die Zivilgesellschaft laut Amnesty unter Druck, was andere internationale Organisationen bestätigen. Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats für Menschenrechte und Frieden beim evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt, sagt im Gespräch mit der DW: "Es gibt verschiedene Strategien, die es Zivilgesellschaft in verschiedenen Regionen der Welt immer schwieriger machen zu operieren. Das richtet sich zum einen ganz konkret gegen einzelne AktivistInnen, die diskriminiert, bedroht, tatsächlich auch verfolgt bis hin zu ermordet werden." Zum anderen gebe es die Strategie, ein Umfeld so zu gestalten, "dass es für zivilgesellschaftliche Organisationen immer schwieriger wird zu arbeiten. Das reicht bis zu Schließung von NGOs, das erleben wir immer wieder." Ein Beispiel dafür: Erst vor wenigen Tagen hat Nicaraguas Präsident Daniel Ortega 25 Nichtregierungsorganisationen schließen lassen. Eine davon ist eine Partnerorganisation von Brot für die Welt.
Eine Methode, die dabei von staatlicher wie nichtstaatlicher Seite angewandt wird, die im Jahresbericht von Amnesty International auftaucht und die Brot für die Welt aus der Praxis ihrer Partnerorganisationen bestätigt, ist der zunehmende Gebrauch von digitaler Technik. Philip Luther bezeichnet die Entwicklung als "zweischneidiges Schwert". Es sei klar, dass Behörden digitale Technik vielfältig positiv nutzten, aber "die Art und Weise, wie sie sie im Hinblick auf die Auswirkungen auf Menschenrechte nutzten, war oft sehr negativ und geschah oft im Geheimen. Und in vielen Fällen versuchten Regierungen auch, Instrumente abzuschalten und zu stören, die es der Zivilgesellschaft ermöglichen, besser miteinander zu kommunizieren und Informationen zu verbreiten."
Der Jahresbericht von Amnesty International nennt mannigfaltige Beispiele dafür: vom längsten Internet-Shutdown aller Zeiten, der Amnesty bekannt ist, vom 4. August 2019 bis 5. Februar 2021 in Jammu und Kaschmir über den Einsatz von Gesichtserkennung bei Protesten in Moskau, die auch zu Verhaftungen führten, bis hin zum exzessiven Einsatz der Spionage-Software Pegasus gegen Journalisten, Oppositionelle und Menschenrechtler.