Afghanistan unter den Taliban: „Jeden Tag werden Frauen getötet und entführt“
Frankfurter Rundschau
Zarifa Ghafari, einst Bürgermeisterin in Afghanistan, spricht im FR-Interview zur Lage der Menschen unter den Taliban und zu ihren Forderungen an die westlichen Staaten.
Frau Ghafari, Sie konnten im August 2021 in letzter Minute aus der afghanischen Hauptstadt in einem türkischen Flugzeug entkommen. Ihre Familie war mit Ihnen. Was dachten Sie, was fühlten Sie an diesem Tag?
Für eine lange Zeit wollte ich Afghanistan nicht verlassen. Ich versuchte, nicht aufzugeben. Ich hoffte, dass ich in meinem Heimatland würde bleiben können. Im Juli hatte ich an einer Konferenz in Dubai teilgenommen, war aber nach Kabul zurückgekehrt. Meine Mutter war schockiert, dass ich zurückgekommen war. Aber ich hatte meinem Vater versprochen, dass ich mich um meine Familie kümmern würde. Ich hatte es ihm versprochen, bevor er 2021 von den Taliban ermordet worden war. Und ich hatte es ihm an seinem Grab versprochen.
Sie waren eine der wenigen Bürgermeisterinnen im Land. Ein Vorbild für viele junge Frauen in Afghanistan. Wann entschieden Sie sich dennoch, zu gehen und warum?
Ich erinnere mich daran, dass ich mit meiner Schwester in einem Café am Markt saß, wenige Wochen, bevor die Taliban die Macht übernahmen. Wir sprachen darüber, was geschehen würde, wenn die Taliban in die Stadt kämen. Und meine jüngere Schwester sagte, sie würde aus dem Fenster unserer Wohnung im sechsten Stock springen, wenn man es ihr nicht mehr erlauben würde, weiter zu studieren. In diesem Fall wollte sie lieber tot sein. In diesem Moment verstand ich: Ich musste das Land verlassen, gemeinsam mit meiner Mutter, meinen Schwestern und meinem Verlobten. Das war der härteste Augenblick für mich. Es war härter selbst als der Tag, an dem mein Vater ermordet wurde.
Sie haben zunächst Islamabad erreicht und dann Istanbul. Später kamen Sie dann nach in den Westen. Jetzt leben Sie seit fünf Monaten in Deutschland. Glauben Sie, dass Sie länger bleiben werden?