Zunahme des sozialen Rückzugs – Wenn der Pandemie-Modus zum Dauerzustand wird
Die Welt
Man nennt es Cave-Syndrom: Auch wenn inzwischen vieles wieder möglich ist, wagen sich manche Menschen nicht aus ihrer inneren Höhle. Ein Psychologe erklärt, warum uns Über-Vorsicht schadet.
Restaurants und Kinos sind offen, das Theater spielt vor vollem Haus und sogar Feiern im Club ist für Geimpfte und Genesene möglich - aber manche Menschen finden aus der erzwungenen Isolation nicht mehr zurück ins Leben. „Sie bleiben in ihrem Schneckenhaus stecken“, sagt der Frankfurter Psychologe Ulrich Stangier. Wie viele Menschen in Deutschland vom sogenannten Cave-Syndrom betroffen sind und warum, will Stangier mit einer Online-Befragung an der Goethe-Universität herausfinden. Bisher gibt es nur Daten aus den USA. Die American Psychological Association hatte im Februar 2021 mehr als 3000 erwachsene Amerikaner befragt. Dabei sagten 46 Prozent, dass sie sich nicht damit wohlfühlen, zu ihrem Alltag vor Corona zurückzukehren. 49 Prozent gaben an, dass es ihnen schwer fällt, zwischenmenschliche Begegnungen wieder zuzulassen.
Das Cave-Syndrom sei ein normales Phänomen, kein pathologisches, betont Stangier. „Es ist keine Krankheit, sondern eine vorübergehende Anpassungsreaktion.“ Stangier geht davon aus, dass die Phase bei den Allermeisten nach zwei bis drei Monaten vorübergeht. Die Gruppe der dauerhaft Betroffenen schätzt er auf vielleicht fünf Prozent. Meist seien es Menschen, die schon vorher sehr zurückgezogen gelebt haben. Bei ihnen habe die Corona-Zeit den Rückzug verstärkt und zu einer Depression oder sozialen Angststörung geführt, die nicht von allein zurückgeht.