
"Zeitenwende" ist Wort des Jahres
DW
Kanzler Olaf Scholz hat sich gleich mehrfach auf der Siegerliste der Gesellschaft für deutsche Sprache verewigt. Dem Hanseaten gelingt damit ein "Doppel-Wumms" - zumindest verbal.
"Zeitenwende" ist das Wort des Jahres 2022. Das gab die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden bekannt. Das Substantiv bezeichnet allgemein den Übergang in eine neu Ära und speziell den Beginn der christlichen Zeitrechnung vor nunmehr zwei Jahrtausenden; Bundeskanzler Olaf Scholz machte es im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in neuem Gewand populär.
Der SPD-Politiker sprach gleich mehrfach von einer "Zeitenwende": im Februar in einer Bundestagsrede, in der das Wort fünfmal vorkommt, im August an der Karls-Universität im tschechischen Prag und im September vor den Vereinten Nationen in New York. Die Bundesregierung gab eigens - wenn auch nur im Internet - eine Broschüre heraus, natürlich mit dem Titel "Reden zur Zeitenwende".
Erst vor wenigen Tagen legte der Hanseat, der bei Beobachtern nicht als rhetorisches Genie gilt, noch einmal nach. Scholz zeichnete einen Namensartikel in "Foreign Affairs", der führenden Fachzeitschrift über auswärtige Angelegenheiten und internationale Beziehungen mit Schwerpunkt auf der US-Außenpolitik. Überschrift: "Die globale Zeitenwende". Und auch hier steht das Wort wieder im ersten Satz.
In der englischsprachigen "Wikipedia"-Ausgabe gibt es längst einen eigenen Artikel mit dem Titel "Zeitenwende speech" (Zeitenwende-Rede), die sich vor allem auf Scholz' Auftritt im Bundestag bezieht. Darin werden die Schlüsselsätze des Kanzlers zitiert: "Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es (dem russischen Präsidenten Wladimir, Anm. d. Red.) Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen. Das setzt eigene Stärke voraus."
In der Folge analysierten Journalisten weltweit die Berliner Rede und sprachen - wie etwa der britische "Guardian" - von einer 180-Grad-Kurskorrektur. Quasi über Nacht sei Deutschland "nicht mehr nur ein ökonomisches, sondern auch ein geopolitisches Machtzentrum". Im Handstreich räumte die Regierung das eherne Dogma ab, wonach die Bundesrepublik keine Waffen in Konfliktgebiete liefert, und mobilisierte zugleich gewaltige Summen für eine "leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr". Scholz kündigte im Parlament ein Sondervermögen im Umfang von 100 Milliarden Euro an. Dabei betonte er die enge Verbundenheit mit "unseren Freunden und Partnern in Europa und weltweit".






