Wo sind die Juwelen?
Süddeutsche Zeitung
Sechs Mitglieder eines berüchtigten Berliner Clans stehen in Dresden vor Gericht. Sie sollen vor zwei Jahren wertvolle Juwelen aus dem Grünen Gewölbe gestohlen haben. Zum Prozessauftakt überlassen sie das Wort ihren 14 Anwälten.
Mohamed R. schaut direkt in die Kameras, die auf ihn gerichtet sind. Dass er in einem Gerichtssaal ist, mit Handschellen gefesselt, umringt von Justizbeamten, scheint den 22-Jährigen nicht zu beeindrucken. Dabei ist der Saal mit seiner schussfesten Glaswand durchaus respekteinflößend. Die Große Strafkammer des Landgerichts Dresden tagt aus Sicherheitsgründen im Spezialsaal des Oberlandesgerichts Dresden am Stadtrand. Hier wird sonst über rechtsextremen Terror verhandelt oder gegen mutmaßliche Mitglieder einer linksextremen Gruppierung. Und jetzt geht es unter riesigem Polizeiaufgebot um eine Tat, in der Sachsens Innenminister nicht weniger als einen "Anschlag auf die kulturelle Identität der Sachsen" erkannte.
Mohamed R. und sein Zwillingsbruder Abdul Majed sind wegen schweren Bandendiebstahls und Brandstiftung angeklagt, genau wie ihre Verwandten Wissam R., Rabieh R., Bashir R. und Ahmed R. Die sechs Männer sollen am 25. November 2019 mit Diamanten und Brillanten besetzte Schmuckstücke gestohlen haben. Aus dem Grünen Gewölbe, einem Museum, das so sicher sein sollte wie der amerikanische Militärstützpunkt Fort Knox. Es bräuchte schon die Raffinesse der "Oceans Eleven", um etwas aus einer der reichsten Schatzkammern Europas zu stehlen, so schien es. Tatsächlich reichte rohe Gewalt.
Erst das Berliner Bode-Museum, dann der Diebstahl von Dresden. Beide aufsehenerregende Coups ähneln sich sehr. Das könnte den Angehörigen eines Berliner Clans zum Verhängnis werden. Von Verena Mayer, Berlin, und Ulrike Nimz, Leipzig
Laut Anklage sollen die Männer zuerst einen Stromverteilerkasten angezündet haben, wodurch die Straßenbeleuchtung ausfiel, auch rund um das Dresdner Schloss. Um 4.57 Uhr stiegen vier Personen in den verspiegelten und mit Marmor ausgekleideten Preziosensaal ein, darunter sollen auch Mohamed und Wissam R. gewesen sein. Sie interessierten sich aber wohl nicht für die mit Edelsteinen besetzen Becher oder das Marienbild an der Wand, sondern liefen schnurstracks ins Juwelenzimmer. Dort schlugen sie mit einer Axt 56 Mal auf die Vitrine ein und nahmen, was sie zu fassen kriegten: die Brustschleife der Königin Amalie Auguste, einen Degen, eine Hutnadel - 21 Schmuckstücke, besetzt mit tausenden Diamanten und Brillanten.
Das Grüne Gewölbe in Dresden. Das Museum sollte so sicher sein wie der amerikanische Militärstützpunkt Fort Knox.