Wladimir Putins toxische Männlichkeit: Sehnsucht eines kleinen Mannes
Frankfurter Rundschau
Ein Präsident, der seinen Körper mit dem russischen Imperium gleichzusetzen scheint – und eine „Männlichkeitsmaschine“ namens Militär, deren Stunde erneut gekommen ist. Ein Essay von Ute Scheub
Was treibt Herrscher dazu, ihr Reich aggressiv auszudehnen? Diese Frage stellt sich angesichts des russisch-ukrainischen Konflikts wieder neu. Gerne wird auf ökonomische Interessen verwiesen. Und auf das Wachstumsprinzip des Kapitalismus, das es nötig macht, immer mehr Ressourcen unter Kontrolle zu bringen. Das ist nicht falsch, aber auch nicht die ganze Wahrheit.
Imperien, die sich immer weiter andere Gebieten einverleibten, gibt es schon lange. Ob Römisches Reich oder Chinesisches, Aztekisches oder Persisches – Imperien sind viel älter als der Kapitalismus. Sie haben alle eins gemeinsam: eine große Militärmacht mit Kriegern und Soldaten (hier ist die männliche Sprachform gerechtfertigt, denn Soldatinnen gibt es mit wenigen historischen Ausnahmen erst seit kurzer Zeit). Diese durchlaufen einen militärischen Drill, um töten zu können. Denn das ist nicht selbstverständlich: In seinem Buch „Im Grunde gut“ belegt der niederländische Historiker Rutger Bregman, dass Menschen eine natürliche Tötungshemmung haben.
Sein Fachkollege Samuel Marshall führte nach dem Zweiten Weltkrieg zahllose Interviews mit Soldaten und kam zum empirischen Ergebnis, dass nur 15 bis 25 Prozent von ihnen überhaupt jemals geschossen oder Tötungsversuche unternommen hatten. Marshall glaubt, dass das für alle Soldaten seit Menschengedenken gilt. Auch Rekruten haben keinerlei Lust auf Krieg.
Im Drill aber werden Körper und Psyche gebrochen. Eine mehrjährige scharfe Körperdressur schaltet in Militärstaaten die Abneigung gegen Töten und Sterben aus und ersetzt sie durch rein mechanische Reaktionen des Körpers. „Die gleichmäßigen Bewegungen des Exerzierens, Marschierens, Greifens, Ladens, Zielens und Schießens mussten mechanisch, ohne nachzudenken oder gar zu zweifeln, ausgeführt werden“, schreibt die Historikerin Ute Frevert in ihrem Buch „Die kasernierte Nation“. In Preußen war diese militarisierte Männlichkeit ein Massenprogramm, eine Leib-, Seelen- und Gehirnwäsche, der von wenigen Ausnahmen abgesehen alle Männer unterworfen waren. Ergebnis war ein Militär als „Schule der Männlichkeit“: Ein Mann hatte hart zu sein, diszipliniert, Schmerzen und Entbehrungen klaglos zu ertragen, Gefühle am besten gar nicht wahrzunehmen. Die Friedensforscherin Astrid Albrecht-Heide nannte das Militär deshalb eine „Männlichkeitsmaschine“.
Erniedrigung wird in allen Armeen der Welt bewusst mit Verweiblichung gleichgesetzt: Vorgesetzte beleidigen männliche Rekruten als „Fotze“ oder „Weichei“, zwingen sie zu demütigenden „weiblichen“ Arbeiten wie Putzen und Abwaschen oder lassen sie den Boden mit Zahnbürsten schrubben. Das Ergebnis ist Frauenhass. Im Lexikon des „Bundessoldatendeutsch“ von 1978 war ungefähr jedes vierte der dort aufgeführten Worte oder Sprichwörter sexuell aufgeladen. Im Soldatenjargon hieß der Penis „Hammer“, „Prügel“, „Rammelbolzen“, Präservative waren „Rohrschoner“ und „Ballermänner“, das Gewehr des Soldaten war seine „Braut“. Waffen sind ihrer Form nach metallgewordene Phalli – ob nun als Raketen, Panzerrohre, Gewehrläufe, Eierhandgranaten oder Bomben. Was daran technisch bedingter Zufall ist und was Material gewordene Männerfantasie, ist schwer zu entscheiden.