Willkommen in Deutschland! Sind Sie Antisemit?
n-tv
Unser Kolumnist versucht immer wieder, ernsten Dingen lustige Seiten abzugewinnen. Aber was, wenn die Realität genauso putzig ist wie seine Hirngespinste? Man schaue nur auf die Vorschläge, den Judenhass einzudämmen. Zum Schießen komisch. Aber bitte: keine Gewalt!
Ich muss mich sputen, mit meiner Kolumne fertig zu werden, weil ich gleich zu einem wichtigen Termin muss. Das heißt, dass ich bald in der U-Bahn sitzen und versuchen werde, nicht auf das Smartphone zu glotzen mit seinen schrecklichen Nachrichten aus aller Welt, die meinen depressiven Zustand zementieren. Es hat auch Vorteile, in einem failed Bundesland wie Berlin zu leben, in dem nicht garantiert ist, dass man in der U-Bahn Internetempfang hat.
Dann kann ich nämlich nicht den Bericht über den Verlauf einer politisch wichtigen Debatte lesen, in der ein Vertreter der Fortschrittskoalition verkündet hat, dass wir ab sofort abschieben wie die Wilden, was zu einem Shitstorm führte. Eine Politikerin einer Partei, die vor Mikroaggressionen warnt und sich für Betroffene engagiert, sagt, dass man "Wilde" nicht sagen soll, da die Wortwahl Betroffene betroffen macht, das "W-Wort" belastend oder sogar retraumatisierend wirken kann, falls ein Betroffener in seiner Kindheit schon mal mit dem "W-Wort" beleidigt worden ist. Dann erklärt die Politikerin, dass der Kolonialismus zwar nicht Hauptursache allen Unheils in der Welt ist, aber eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Ich sehe die Frau vor mir, wie stolz sie ist, in Schwarz-Weiß-Zeiten zu differenzieren.
Wegen des fehlenden Internets in der U-Bahn erfahre ich nicht, dass sich der Vertreter der Fortschrittskoalition umgehend für seine Wortwahl entschuldigt und bedauert hat, Betroffene "möglicherweise belastet und retraumatisiert" zu haben. "Wer mich kennt, weiß, dass ich noch nie jemanden beleidigt habe und das W-Wort sonst nicht gebrauche", behauptet er. Mangels Internetzugang erfahre ich nicht, dass ein CDU-Politiker daraufhin verkündet, dass er das nicht glaubt, dass das ohnehin alles nur Augenwischerei ist und längst alle wissen, dass die Fortschrittskoalition nichts auf die Reihe kriegt, wohl wissend, dass Mutti ein Stück Verantwortung für die Misere trägt, was der CDU-Politiker aber nicht sagt, weil dann seine tolle Rede nicht mehr so toll erscheint. Wir schaffen das. Vielleicht.