Wie lange noch?
Süddeutsche Zeitung
Möglicherweise noch eine ganze Weile: Warum sich im Fall Johnson nun ausgerechnet die Metropolitan Police und der lange angekündigte Untersuchungsbericht im Weg stehen.
Boris Johnson trägt in letzter Zeit wieder häufiger Warnweste und Bauhelm, weil er irgendwo eine Baustelle besichtigt. Immer wieder ist er auch in Krankenhäusern anzutreffen. Jedes Mal spricht Johnson mit den anwesenden Fernsehreportern, um zu sagen, dass er die Party-Vorwürfe nicht kommentieren könne, leider, bitte haben Sie Verständnis, die Ermittlungen laufen. Danach weist er stets auf die seiner Meinung nach wirklich wichtigen Dinge hin, nämlich das, was diese Regierung bereits erreicht habe, die Impfungen, das Wirtschaftswachstum, und so weiter. Die Details stimmen dabei selten, aber wen interessieren schon Details. Manchmal dementiert er auch noch einen neuen Vorwurf.
Am Donnerstag, als er den Standort eines geplanten Atomkraftwerks in Wales begutachtete, wurde Johnson zu einer E-Mail aus dem Außenministerium befragt, die dieser Tage öffentlich geworden war. Die Mail scheint zu bestätigen, dass Johnson während der Evakuierung aus Kabul die Priorisierung von 173 Hunden und Katzen einer Charity-Organisation autorisiert haben soll. "Total rhubarb" sei das, sagte Johnson. Rhubarb heißt übersetzt nicht nur "Rhabarber", sondern auch "Blödsinn".
Man kann nicht sagen, dass Boris Johnson sich in dieser schwierigsten Phase seiner Amtszeit versteckt, fast täglich steht er vor irgendeinem Mikrofon. Er ist jetzt wieder ganz in seiner Lieblingsrolle: im Wahlkampfmodus.
Landesweite Wahlen sind zwar erst 2024 wieder, aber Johnsons Umfragewerte sind inzwischen derart miserabel, dass sie selbst die Rekord-Tiefwerte von Theresa May unterbieten. Praktisch täglich wird er zum Rücktritt aufgefordert. Gleichzeitig formieren sich die Unterstützer um den kämpfenden Johnson, weshalb die Frage, um die sich derzeit in Westminster alles dreht, wieder völlig offen ist. Die Frage lautet: Wie lange noch?
Das Kalkwerk: Boris Johnson (im Fahrerstand, mit Helm) am Donnerstag in Wales beim Besuch einer Kalkgrube, wo er sich unter anderem sehr große Fahrzeuge zeigen ließ.