Wenn das Immunsystem das eigene Blut angreift
Frankfurter Rundschau
Die Kälteagglutinin-Krankheit ist sehr selten. Ein neuer Antikörper bietet die Chance einer gezielten Therapie.
Kälteagglutinin-Krankheit? Davon dürften vermutlich nur die wenigsten Menschen je gehört haben. Denn geschätzt ist nur einer oder eine von 35 000 bis 80 000 betroffen, Frauen häufiger als Männer. Die Kälteagglutinin-Krankheit zählt damit zu den Seltenen Erkrankungen. Anders als es bei vielen anderen dieser Leiden der Fall ist, tritt sie oft erst ab einem Alter von um die 60 und nicht bereits in jungen Jahren auf. Die Kälteagglutinin-Krankheit kann akut oder chronisch verlaufen, sie kann „idiopathisch“ sein, heißt: ohne Einfluss einer anderen Erkrankung entstehen, sie kann aber auch Folge einer Erkrankung sein.
Auslöser können einige Autoimmunerkrankungen, Virusinfektionen wie Röteln oder das Pfeiffersche Drüsenfieber sowie eine Lungenentzündung durch eine Infektion mit Bakterien sein. In solchen Fällen verläuft die Kälteagglutinin-Krankheit meist akut und es besteht die Chance, dass sie nach einigen Wochen von selbst ausheilt. Anders verhält es sich, wenn sich die Erkrankung als Folge von Lymphonen (Lymphdrüsenkrebs) ausbildet, dann verläuft sie chronisch.
Die Kälteagglutinin-Krankheit selbst gilt als Autoimmunerkrankung; Antikörper des Immunsystems greifen die Erythrozyten – die roten Blutkörperchen – an und zerstören sie, ein Vorgang, der als Hämolyse bezeichnet wird. Die Vernichtung der Erythrozyten kann eine schwere Anämie (Blutarmut) zur Folge haben. Außerdem kommt es im Laufe dieses Prozesses zu einer Verklumpung (Agglutination) der roten Blutkörperchen, was ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall nach sich zieht. Der Zusatz „Kälte“ im Namen der Krankheit bezieht sich auf die Eigenschaft der verantwortlichen Antikörper, bevorzugt bei niedrigen Temperaturen aktiv zu werden. Kühlere Jahreszeiten oder Umgebungen können die Beschwerden deshalb auslösen oder verstärken.
Menschen, die unter der Kälteagglutinin-Krankheit leiden, sind oft dauerhaft blass, haben bläulich verfärbte Finger, Zehen und Lippen, fühlen sich ständig schlapp und müde; typische Anzeichen einer Anämie. Andere Symptome können Kopfschmerzen, Herzrasen und Schwindel, Kurzatmigkeit oder Durchblutungsstörungen bei Kälte sein. Weil diese Beschwerden auch bei anderen, weitaus verbreiteteren Krankheiten auftreten können, wird die tatsächliche Ursache häufig nicht gleich erkannt – obwohl sich mit einem Bluttest die Anämie durch Zerstörung der Erythrozyten, die Auto-Antikörper und die im Serum zirkulierenden Kälteagglutinine nachweisen lassen. Nicht selten erfolgt die Diagnose nach einem standardmäßigen Blutbild, wenn dabei die abnorme Verklumpung von Erythrozyten gefunden wurde.
Während einer akuten „Krise“, in der Blutkörperchen massiv zerstört werden, kann es zudem zu Schmerzen im Rücken und in den Beinen, zu Erbrechen, Durchfall, einer Schwellung von Leber und Milz sowie durch den Farbstoff der abgebauten Blutkörperchen zu dunklem Urin kommen. Eine auf Daten aus dem dänischen Gesundheitsregister basierende Studie von 2019 zeigte eine eingeschränkte Lebenserwartung – eine Beobachtung, die aber noch durch weitere wissenschaftliche Arbeiten bestätigt werden muss