Was für ein wundersamer Handballabend
Süddeutsche Zeitung
Neun Coronafälle, fünf Nachnominierte, nur ein Torwart? Macht doch nix. Die deutschen Handballer holen bei der EM durch das 30:23 gegen Polen den Gruppensieg - mit einem zusammengewürfeltem Team, das über sich hinaus wächst.
Gleich eine gute Nachricht: Die deutschen Handballer haben für ihre EM-Partie am Dienstagabend ein Team zusammen bekommen. Zwar ein kurioses, nur 14 Akteure waren im Kader, darunter einige Spieler, die 24 Stunden zuvor noch zu Hause in Deutschland auf dem Sofa gesessen haben; mit einem Torwart, der vor einigen Monaten noch seinen Rückzug aus dem Nationalteam erklärt hat. Doch nun stand Johannes Bitter, 39, vom HSV Hamburg wieder im deutschen Tor. Er habe "nicht wahnsinnig viel Handball trainiert" in den letzten Tagen, erklärte Bitter wahrheitsgemäß. Doch als Bundestrainer Alfred Gislason anrief, sei für ihn klar gewesen: Er will helfen.
Und das tat Bitter, einziger Torwart im Kader. Wie auch das übrige deutsche Team lieferte er - in einer der kompliziertesten Stunden für den deutschen Handball - eine Leistung ab, die kaum hoch genug bewertet werden kann, und die sogar mit dem Gruppensieg belohnt wurde. Durch das sichere 30:23 (15:12) gegen Polen schließt die deutsche Mannschaft die Vorrunde der Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei als Erster ab - und nimmt zwei wichtige Punkte in die Hauptrunde mit.
Plötzlich wieder wichtig: Johannes Bitter (Mitte) pariert gegen Polen, obwohl er eigentlich längst seinen Rückzug aus dem Nationalteam erklärt hatte.
"Ein Riesenkompliment an die Jungs", sagte Gislason nach dem Spiel. "Die Vorzeichen standen überhaupt nicht gut", erklärte auch Kapitän Johannes Golla: "Aber wir haben uns gesagt, dass wir das Spiel für die Jungs gewinnen wollen, die infiziert sind."
Neun Spieler mit positiven Coronatests, eine solche Situation darf mitten in einer Europameisterschaft als Worst-Case-Szenario durchgehen. Zu den bekannten Namen gesellten sich am Dienstag noch Linksaußen Marcel Schiller und Torwart Till Klimpke, ihre Tests waren ebenfalls positiv. Eilig wurden aus Deutschland fünf Spieler nachnominiert, um die dezimierte Mannschaft wieder zu füllen, darunter Kräfte wie Bitter, Paul Drux oder Fabian Wiede. Die Stunden vor dem Spiel verbrachten die Spieler auf ihren Einzelzimmern: Das Essen wurde an die Zimmertür geliefert, das Training fiel aus, stattdessen wurden die Ergebnisse der jüngsten PCR-Tests erwartet. Am Nachmittag ging es direkt in die Halle. Da sagte selbst der erfahrene Bundestrainer Gislason, der im Handball wirklich viel durchgemacht hat: "So eine Situation habe ich noch nie gehabt."