Von wegen alte Giftspritze
Frankfurter Rundschau
Die Autorin Elsa Koester ist selbst Stiefmutter und hat festgestellt: Das böse Image haftet dieser Rolle noch immer an. Ein Buchauszug.
Meine Kollegin ist vor Kurzem Mutter geworden. Das heißt: Sie wurde schwanger, sie bekam einen Babybauch, und dann ging sie in den Mutterschutz, dann bereitete sie alles für die Geburt vor, dann bekam sie einen kleinen Sohn. An ihrem letzten Arbeitstag vor ihrer Mutterwerdung verabschiedeten wir sie im Büro, bei der Wochenzeitung „der Freitag“. Wir hatten unter Kolleginnen ein gemeinsames Geschenk organisiert – einen Verpflegungsdienst mit tollem Essen zur Stärkung nach der Geburt. Es gab auch Blumen und Karten, und alle sagten Dinge wie: „Oh, das wird jetzt eine ganz besondere Zeit, du wirst soooo müde sein, hahaha, aber es ist die wichtigste Zeit im Leben, genieß sie.“
Meine Kollegin und Freundin lächelte glücklich und ein bisschen schüchtern, wie sie meistens lächelt, sie las die Karten und ließ sich kleine Geschichten erzählen, von Babys und Familie, die Stimmung war so schön, und ich sah auf die Blumen und die Karten und all das Lächeln und dachte: Wann habe ich eigentlich so ein Lächeln bekommen? Wann werde ich es bekommen? Ich habe doch auch gerade eine Familie gekriegt! Wie ist das eigentlich passiert? Dass mein Leben sich dermaßen auf den Kopf gestellt hat, mit einer Jugendlichen und einem kleinen Jungen in meinem Zuhause, dass plötzlich alles Chaos ist, morgens und abends und an den Wochenenden, dass die Küche plötzlich erfüllt ist von Gejammer und Protestgeheul, von Gezeter und Diskussion, von Lachen und Kitzeln und Stampfen und Quatschmachen, von Nutella und schief gerolltem Sushi, und dass ich so müde bin, ständig bin ich müde, aber glücklich, und auch genervt, und ihr alle hier wisst gar nicht, warum, und nie habe ich dieses Lächeln bekommen.
Es gab nie diesen Moment hier für mich, es gab keine Karten und keine Blumen und keine Geschenke, und vor allem gab es keine Geschichten und Tipps, wie man es mit so einer Jugendlichen und einem kleinen Jungen aushält, ohne durchzudrehen, und es gab keine PowerVerpflegungsdienst-Gutscheine. Meine Kollegin lächelte weiter, und die anderen Kolleginnen strahlten und erzählten weiter, und da platzte es aus mir heraus: „Ey! Wo sind eigentlich meine Blumen? Ich hab auch eine Familie bekommen! Ich bin … Stiefmutter geworden!“
Mit einem Mal war es ganz still im Raum. Dutzende Augen blickten mich groß an, denn sie hörten es zum ersten Mal: „Stiefmutter geworden“. Alle wissen, wer eine Mutter ist. Aber wer ist eine Stiefmutter? Ich konnte es sehen, das Bild, das meine Kolleginnen da im Kopf hatten. Ich kannte es genau. Nehmen Sie mal Ihr Smartphone, einen beliebigen Messenger-Dienst und suchen Sie bei den GIFs nach „Stepmother“. Da kommt das Bild, das wir alle im Kopf haben bei diesem Wort: eine alternde Giftspritze mit grauen Haaren, zu einem Dutt hochgebunden, spitzes Kinn, gehässige, zu Schlitzen gezogene Augen, mit einer Hautfarbe, die irgendwo zwischen Gelb, Grün und Lila liegt. Voilà: die Stiefmutter aus Disney’s Cinderella. Walt Disney ist spitze darin, Klischees direkt aus unseren Köpfen auf die Leinwand zu projizieren.
Ich konnte ihn sehen, den Film, der vor den inneren Augen meiner Kolleginnen ablief: Stiefmutter. Nur passte dieser Film nicht zu dem, was sie vor sich sahen: eine 37-jährige Kollegin, die eigentlich ganz nett wirkte, bislang zumindest. Ohne Dutt. Ohne diese gehässigen Augen. Was also sagte ich da? Wer war ich? Dann rappelten sie sich zusammen. „Ja“, sagten mir die Kolleginnen, „aber du bist sicher eine ganz andere Stiefmutter! Du bist feministisch und empathisch, du bist eine Bonusmutter. Den Kindern macht es bestimmt Spaß mit dir, du bist gut für sie, da sind wir uns sicher.“