Verloren im Niemandsland: Flüchtlinge an der belarussisch-polnischen Grenze
DW
Sie kommen aus Syrien, Afghanistan und Mali und versuchen in die EU zu gelangen: Flüchtende im Urwald an der Grenze zwischen Belarus und Polen. Aktivisten, die ihnen helfen, werden eingeschüchtert und verfolgt.
Das Foto auf dem Handy zeigt Kinderfüße: Die Zehen eines Fußes scheinen unnatürlich kurz und deformiert, am anderen sind Wunden dort, wo Zehnägel sein müssten. "Erfrierungen, Nekrose der Nägel und abgefallene Zehen", erklärt Paulina Bownik. So etwas kannte die Ärztin bisher nur aus Lehrbüchern.
"Früher nannte man das einen Schützengrabenfuß," sagt Bownik. So sahen die Füße von Soldaten aus, die wochenlang in Schützengräben standen, in Kälte und Nässe und ohne die Schuhe auszuziehen. Seit dem Zweiten Weltkrieg war diese Verletzung in Europa so gut wie unbekannt. Doch jetzt findet man sie wieder bei Flüchtlingen, die versuchen, in die EU zu kommen.
Die Füße auf dem Foto gehören zu einem zwölfjährigen afrikanischen Mädchen, das Paulina Ende Juni 2022 in der Bialowiezer Heide, einem Urwaldgebiet an der belarussisch-polnischen Grenze behandelt hat. Es war mit einer Gruppe von Flüchtlingen aus Mali unterwegs, die versuchte, in der Europäischen Union Schutz zu finden. Wie lange die Menschen im Wald umhergeirrt waren, wusste das Mädchen nicht mehr. Mindestens aber seit Januar.
Mit Gewalt werden die Geflüchteten von belarussischen Sicherheitskräften über den Grenzzaun nach Polen gedrängt, in die EU. Dort aber drängen sie polnische Grenzschutzbeamte und Soldaten zurück - auch diejenigen, die im EU-Land Polen um Asyl bitten wollen. Derartige Pushbacks finden statt, obwohl die polnischen Behörden wissen, dass auf der belarussischen Seite Flüchtlinge geschlagen oder vergewaltigt werden.
Trotzdem schaffen es Flüchtende immer wieder über die Grenze. Hier, auf der polnischen Seite, helfen ihnen Aktivisten wie die von der Grupa Granica (Gruppe Grenze), der auch die Ärztin Paulina angehört. Grupa Granica ist ein Netzwerk von 14 polnischen Nichtregierungsorganisationen, die im Grenzgebiet aktiv sind. Allein in der dritten Juniwoche 2022 erhielten die Grupa Granica-Freiwilligen über 130 SMS mit Hilferufen von Menschen, die in der Wildnis festsaßen. Mehrmals täglich müssen die Aktivisten in den Urwald, um nach Gestrandeten zu suchen.