Verkannte Gefahr
Frankfurter Rundschau
Mit einem Umsatz von rund neun Milliarden Euro pro Jahr bewegt die Sportwetten-Branche in Deutschland pro Jahr doppelt so viel wie beide Fußball-Bundesligen – das birgt Gefahren.
Für den gemeinen Fußballfan, der es sich auf der Couch zu einer Live-Übertragung gemütlich gemacht hat, ist es eigentlich unmöglich, dem Thema Sportwetten zu entkommen. Ob vor oder nach einem Spiel oder in der Halbzeitpause: Eine kaum noch durchschaubare Zahl an Wettanbietern buhlt um die Gunst des Publikums – und wer glaubt, dass die nervigen Spots nicht verfangen, der irrt: Mit einem Umsatz von rund neun Milliarden Euro pro Jahr bewegt die Sportwetten-Branche in Deutschland pro Jahr doppelt so viel wie beide Fußball-Bundesligen. Tendenz steigend.
Die Fanvereinigung „Unsere Kurve“ hat nun auf den Widerspruch aufmerksam gemacht: Einerseits profitiert der gesamte Fußball-Betrieb von den explodierenden Erlösen, andererseits ist damit enormes Sucht- und Gefährdungspotenzial verknüpft. Rund eine halbe Million Menschen in Deutschland sind spielsüchtig oder weisen ein problematisches Glücksspielverhalten auf. Studien besagen, dass bis zu 15 weitere Menschen im direkten Umfeld unter den psychosozialen und finanziellen Auswirkungen leiden. Und wenn jeder fünfte Euro der Sportwetten seit 2016 wirklich von süchtigen Spielenden stammt, dann stimmt etwas nicht.
Glückspiele im Internet stellen gerade für Jugendlichen einen ungeheuren Reiz darf. Mit dem neuen Glücksspiel-Staatsvertrag aus dem vergangenen Sommer wurde die mediale Präsenz der Anbieter noch einmal erhöht. Die seit zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie teils stark eingeschränkten Freizeit- und Sportangebote tun ein Übriges, dass manch einer beim Wetten Zerstreuung findet. Ein Drittel der Minderjährigen soll in den letzten zwölf Monaten gezockt haben. Jeder weiß, dass in dieser Altersgruppe, schnell mal jegliches Maß verloren gehen kann. Trotzdem drehen die Vereine, vom FC Bayern bis SV Sandhausen, als auch die Verbände, DFB wie DFL, am lukrativen Rad mit.
Andere Länder haben gegengesteuert: In Spanien wurde Sportwettenwerbung von Trikots oder aus der Prime-Time im TV verbannt, in Italien gelten Werbeverbote in TV und Radio, in England stellen sich einzelne Vereine nicht mehr als Werbeplattform zur Verfügung. In Zeiten wegbrechender Sponsoring-Erlöse müssen hierzulande nicht gleich alle Verträge gekündigt werden, wenn aber gesellschaftliche Verantwortung in allen relevanten Bereichen vorgelebt werden soll, gehört die grundsätzliche Haltung überdacht, zumal die exorbitanten Geldströme auch die Gefahr der Manipulation runter bis in die untersten Klassen steigern.
Dass sich der deutsche Fußball konsequent gegen Rassismus oder Ausgrenzung einsetzt, ist überfällig; dass in der DFL-Lizenzierung sogar Nachhaltigkeit verankert wird, ist lobenswert. Dass aber das oft verschwiegene Problem der Spielsucht auf der Gegenseite in dieser Größenordnung befördert wird, in dem sich die bekanntesten Protagonisten als gut bezahlte Werbeträger hergeben, geht eigentlich nicht. Übrigens sollte sich auch so manch prominenter Fernsehexperte oder –moderator mal hinterfragen, vor welchen Karren er sich da eigentlich spannen lässt.