Verdächtige Bremer
Frankfurter Rundschau
Die Restsaison der Zweiten Fußball-Bundesliga verspricht Hochspannung im Aufstiegsrennen - auch, weil die Werderaner sich mit neuem Coach gefangen hat / Tabellenführer St. Pauli verlängert mit Trainer Timo Schulz.
Eine Woche nach der Ersten Bundesliga nimmt die zweite Liga den Spielbetrieb wieder auf. Ein Spieltag der Rückrunde wurde bereits vor Weihnachten absolviert. Es deutet sich eine hochspannende Restspielzeit im vor Saisonstart zur „besten zweiten Liga aller Zeiten“ gekürten Unterhaus an. Denn gleich vier Klubs hängen punktgleich auf den Plätzen drei bis sechs den beiden führenden Überraschungsmannschaften FC St. Pauli und Darmstadt 98 im Nacken: der Hamburger SV, Schalke 04, der 1. FC Nürnberg und der 1. FC Heidenheim. Gleich dahinter lauert mit nur einem weiteren Zähler Rückstand Werder Bremen als Siebter. Alle Verfolger eint, dass sie – anders als Tabellenführer St. Pauli nach dem 0:3 bei Holstein Kiel – mit breiter Brust in die kleine Winterpause gegangen sind.
Bei Werder Bremen sieht es verdächtig danach aus, als sollte der Impfpassbetrug des Ex-Trainers Markus Anfang sich als Segen erweisen. Denn Anfangs Nachfolger Ole Werner hat in drei Spielen die Optimalausbeute von neun Punkten aufs zuvor nur mäßig gefüllte Konto geschaufelt. Der in seiner stocknüchternen Ausstrahlung mitunter auf Olaf-Scholz-Niveau heruntergedimmt wirkende Ex-Kieler passt zu Bremen, passt zu Werder. Das lief also gut an zum Ende eines Jahres, in dem Werder den mit einigem Abstand unruhigsten Klub im deutschen Profifußball abgegeben hatte.
Für latente Unruhe waren über viele, viele Jahre hinweg der Hamburger SV und Schalke 04 zuständig gewesen. Das Plusquamperfekt ist in diesem Fall bewusst gewählt, denn sowohl in Hamburg als auch in Gelsenkirchen herrscht relative Ruhe, ergo: eine gute Voraussetzung, im Rattenrennen um einen Aufstiegsplatz noch chancenreich unterwegs zu sein. Man muss deutlich anerkennen, dass es Sportdirektor Rouven Schröder auf Schalke gelungen ist, aus wenig viel zu machen. Der nahezu komplett runderneuerte Kader hat trotz riesiger Einsparungen im Personalkostenbereich Aufsteigerqualität. Und auch Trainer Dimitrios Grammozis, der am Sonntag gegen Kiel auf die Rückkehr von Torjäger Simon Terodde baut, hat sich inzwischen eine Anerkennung verschafft, die ihm als Abstiegstrainer zuvor nicht vergönnt war. Das später, aber überverdiente 1:1 beim HSV am letzten Spieltag des Jahres 2021 hat letzte Zweifel in der Führungsetage am Trainer vertrieben. Vorerst zumindest.
In Hamburg hat Tim Walter inzwischen auch die lange und sicher nicht unbegründet skeptischen Medien vor Ort überzeugt. Angesichts seines unverzagt offensiven Spielstils wurde der Trainers geraume Zeit als unbelehrbarer Hasardeur empfunden, der seine Männer unentwegt ins Verderben rennen lässt. Und natürlich haben die Rothosen zu viele spät kassierte Unentschieden im Berichtsheft stehen. Aber sie stellen auch die beste Defensive der Liga und sind allemal vor der Partie am Freitagabend bei Dynamo Dresden bestens präpariert, um nicht wieder eine traditionell miese Rückrunde zu spielen und am Ende erneut auf dem ungeliebten Rang vier zu landen. Derzeit führen sie das Verfolgerquintett aber nur wegen des besseren Torverhältnisses an. Anders als die Bremer und Schalker haben sie sich ins Trainingslager nach Südspanien gewagt. „Man kann aus Sonne Energie tanken“, sagt Tim Walter und sieht dabei ganz so aus, als hätte er genau das getan.
Das hat Tabellenführer St. Pauli zur vollsten Zufriedenheit in Benidorm getan. Seinen Vertrag hat Trainer Timo Schultz am Donnerstag vorzeitig verlängert. Der eng mit dem Klub verbundene Ostfriese hat sich das sehr verdient. Noch gibt es ein bisschen Luft nach unten. In einer Woche schon steht am Freitagabend das Derby beim HSV auf dem Programm. Liga zwei bleibt ruhelos.