Verbot von Menschenrechtsorganisation Memorial in Russland: Der totalitäre Geist lebt – noch
Frankfurter Rundschau
Die Organisation Memorial International muss ihre Arbeit in Putins Russland einstellen. Der Schaden ist kaum in Worte zu fassen. Ein Kommentar.
Wer sich mit dem Unrecht der Vergangenheit befasst, kann die Augen vor dem Unrecht der Gegenwart nicht verschließen. Genau das wird jetzt der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial International zum Verhängnis. Weil die Organisation sich nicht nur mit dem Terror und dem Unrecht der Sowjetunion befasst, sondern auch die Verbrechen des heutigen Russland anprangert, wird die älteste und Nichtregierungsorganisation des Landes zur Schließung gezwungen.
Die Gründe, die die Anklage ins Feld geführt hat, sind so lächerlich, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen, die die Verteidigung von Memorial dennoch unternommen hatte, Zeitverschwendung war. Gemäß dem alten sowjetischen Spruch: „Gibt es einen Menschen, findet sich auch ein Paragraph“ stand das Urteil gegen Memorial schon fest, bevor die Verhandlungen begannen. Die Aktivistinnen und Aktivisten sollten zum Schweigen gebracht werden, und seien die Vorwürfe noch so lächerlich.
Die Wurzeln von Memorial liegen in der Zeit, als unter dem letzten sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow die Aufarbeitung des nachrevolutionären Regimes bis zum Tode von Josef Stalin 1953 begann – und zwar öffentlich. Das Zwangsarbeitssystem „Gulag“, in dem Millionen Menschen oft wegen willkürlicher Anschuldigungen endeten und starben, war Thema in der breiten Presse.