Ukrainischer Botschafter Melnyk soll Deutschland verlassen
DW
Andrij Melnyk ist der derzeit bekannteste ausländische Diplomat in Berlin. Aber zuletzt sorgte er mit umstrittenen Äußerungen zum Faschismus in der ukrainischen Geschichte für Widerspruch. Verlässt er bald Deutschland?
Er ist in Berlin die Stimme der kämpferischen Ukraine, die sich verzweifelt gegen Russland wehrt. Botschafter Andrij Melnyk beeindruckt viele Menschen in Deutschland, aber andere empört er auch. Nun vermeldet die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf mehrere Quellen in Kiew, dass der 46-jährige Spitzendiplomat noch vor dem Herbst aus Berlin in die ukrainische Hauptstadt zurückkehren werde. Dort solle er das Amt des stellvertretenden Außenministers übernehmen.
Erst vor wenigen Tagen hatte Melnyk für breiten Widerspruch gesorgt - nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen und Israel. Auch die Regierung in Kiew distanzierte sich von ihm in einem Punkt deutlich. "Die Meinung", die Melnyk in einem Interview mit einem deutschen Journalisten geäußert habe, "ist seine eigene und spiegelt nicht die Position des Außenministeriums der Ukraine wider". Nun, drei Tage später, eine Meldung über seine mutmaßliche baldige Abberufung. Die ukrainische Botschaft in Berlin war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.
Anlass für die Distanzierung des ukrainischen Außenministeriums war ein Videointerview des deutschen Journalisten Tilo Jung mit Melnyk. Jung brachte das Gespräch auf Melnyks Bewertung des ukrainischen Nationalistenführers Stepan Bandera (1909-1959). Der Botschafter bestritt, dass es irgendwelche Beweise für den Massenmord an Juden durch Bandera-Anhänger gebe.
"Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen", sagte Melnyk. Der Botschafter verglich Bandera als "Freiheitskämpfer" mit Robin Hood; man schiebe ihm aber mit den Vorwürfen der vergangenen Jahrzehnte "alles in die Schuhe".
Doch Bandera war kein Robin Hood. Diverse wissenschaftliche Arbeiten beschäftigten sich in jüngerer Zeit mit seiner Person. Er führte und prägte die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), seine Gefolgschaft war für ihren Antisemitismus berüchtigt. Die OUN-Kämpfer aus dem Westen der Ukraine kämpften zeitweise an der Seite der Nazis und waren 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen verantwortlich, bei denen zehntausende polnische Zivilisten, darunter viele Juden, ermordet wurden. Von 1941 bis zu seiner Freilassung 1944 war Bandera selbst im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin inhaftiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg floh Bandera nach Deutschland und lebte in München. Dort wurde er 1959 von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB ermordet. Ukrainische Nationalisten verehren ihn bis heute.