Ukraine: Zu alt für die Flucht
DW
In der Ukraine leben Millionen alte Menschen. Für sie wird die Flucht aus den Kriegsgebieten zur Tortur. So wie für Erika Haltschij. Sie ist 80 Jahre alt und schwer krank.
Während Millionen Menschen vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten, muss Erika Haltschij erst einmal bleiben. Sie ist 80 Jahre alt und dement. Sie vergisst, wo sie ist und was sie tut. Selbst ihre eigene Tochter erkennt sie nicht mehr wieder. Ein Zustand unter dem eine Flucht mit mehrtägiger Wartezeit an der Grenze sehr schwierig wäre.
Erikas Tochter Lesja wohnt derweil bereits in Deutschland und sorgt sich um die Mutter. Seit 1945 lebt die alte Frau in der Stadt Kalusch in der Westukraine, erzählt Lesja der DW. Sie hatte deutsche Vorfahren, wurde in Frankfurt an der Oder geboren und ist nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion verschleppt worden. Seit der Wiedervereinigung wollte sie oft nach Deutschland zurückkehren. Ihre Tochter will sie immer wieder dabei unterstützen. Doch die Behörden stellen sich quer. Als Russland Ende Februar die Ukraine angreift, sind die beiden verzweifelt.
So wie Erika Haltschij ergeht es in diesen Tagen vielen alten Menschen in der Ukraine. Seit dem Angriff Russlands wurden sie zurückgelassen, sind hilflos und schutzlos. Wie viele Menschen genau davon betroffen sind, ist unklar.
Im Jahr 2020 waren rund 16 Prozent der ukrainischen Einwohner älter als 65 Jahre. Auf die Bevölkerungszahl von 44 Millionen Ukrainern umgerechnet, ergibt das eine Zahl von mehr als sieben Millionen alten Menschen. An der Grenze rund um die ukrainische Ortschaft Tschernowitz kommen laut der notärztlichen Hilfsorganisation Cap Anamur aber hauptsächlich jüngere Frauen mit Kindern an. Alte Menschen seien nur wenige dabei, sagt Cap Anamur-Geschäftsführer Bernd Göken.
"In den Jahren, in denen wir in der Ostukraine verschiedene kleine Projekte unterstützt haben, wurden durch unser Team auch viele alte Menschen versorgt, die teilweise unter sehr schlechten Bedingungen lebten", schreibt er der DW. Wie die Lage für diese Menschen derzeit sei, könne er aber nicht einschätzen.