Tausend Kläger gegen den TÜV Süd
Süddeutsche Zeitung
Vor drei Jahren barst ein Damm in Brasilien, eine giftige Schlammlawine wälzte sich über Menschen, Häuser, Tiere. Nun fordern Angehörige von Opfern und Überlebende mehr als 400 Millionen Euro vom Prüfkonzern TÜV Süd.
Die Liste des Leids, die dem Landgericht München I vorliegt, ist 1151 Seiten lang und enthält fast genauso viele Namen. 1112 Menschen aus dem Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien verklagen den TÜV Süd auf 436 Millionen Euro Schadenersatz. Die Klägerinnen und Klägern sind vor allem Angehörige von Opfern einer Katastrophe, die sich fast auf den Tag genau vor drei Jahren in Minas Gerais ereignet hatte: Am 25. Januar 2019 war der Staudamm einer Eisenerzmine nahe der Kleinstadt Brumadinho geborsten, eine riesige, giftige Schlammlawine begrub Menschen, Tiere und Häuser. Mit 270 Toten war es einer der größten Industrieunfälle in der Geschichte Brasiliens - und seine Spuren reichen bis nach Deutschland.
Der TÜV Süd, ein in München ansässiger, aber weltweit tätiger Überwachungs- und Prüfkonzern mit 2,5 Milliarden Euro Jahresumsatz, soll mitverantwortlich sein für die Katastrophe. Eine brasilianische Filiale des TÜV Süd hatte den Staudamm noch 2018 als sicher zertifiziert - fälschlicherweise, wie in der Klageschrift behauptet wird. Die Prüfer müssten deshalb Schadenersatz zahlen. Der TÜV Süd weist seit Jahren alle Vorwürfe zurück.
Schadenersatz fordern 836 Bewohner der Region Minas Gerais, die bei der Katastrophe nahe Angehörige verloren haben. Hinzu kommen Überlebende des Unglücks, die damals verletzt wurden oder deren Eigentum in der Schlammlawine unterging oder beschädigt wurde. Was sie geltend machen, summiert sich auf insgesamt 436 Millionen Euro. Hinzu kommen weitere Ansprüche vor allem der Gemeinde Brumadinho, die noch nicht beziffert sind.
Die Klage ist eine massive Erweiterung eines bereits beim Landgericht München I anhängigen Verfahrens. Dort forderten bislang sechs Angehörige eines Todesopfers und die Gemeinde Brumadinho Schadenersatz vom TÜV Süd, eine erste Gerichtsverhandlung dazu hatte im September 2021 stattgefunden. Das Landgericht hat die Erweiterung der Klage bereits für zulässig erklärt.
"Wir sind zuversichtlich, dass noch in diesem Jahr ein Urteil ergehen wird", sagt der Hamburger Anwalt Jan Erik Spangenberg. Er vertritt die 1112 Klägerinnen und Kläger gegen den TÜV Süd. Dieser könne sich "seiner Verantwortung für den Tod von 270 Menschen und die massive Umweltzerstörung nicht länger entziehen". Falsche Stabilitätserklärungen einer brasilianischen Konzerntochter hätten den Weiterbetrieb des Dammes und des Bergwerks ermöglicht, sagt Spangenberg.