Türkei: Tummelplatz der internationalen Mafia
DW
Organisierte Kartelle vom Balkan, aus dem Kaukasus und aus dem arabischen Raum haben die Türkei als Operationsgebiet entdeckt. Dies liegt nicht nur an der geografischen Lage des Landes als Brückenkopf nach Europa.
Lange wurde er per internationalem Haftbefehl gesucht, am 4. November schließlich wurde der mutmaßliche serbische Drogenboss Zeljko Bojanic in Istanbul festgenommen. Er hatte sich dort mit einem gefälschten Pass aufgehalten. Seine Festnahme rief Aufsehen hervor und unter anderem Kemal Kılıçdaroğlu auf den Plan. "Der ganze Mafia-Abschaum der Welt ist in unsere Städte gekommen", twitterte der türkische Oppositionsführer nur kurz nach Bojanics Festnahme. Und fuhr danach - direkt an die Kartelle gerichtet - fort: "Verlasst unsere Städte. Wir werden euch vernichten. Nehmt eure schmutzigen Gelder mit und geht."
Tatsächlich gibt es seit Jahren immer wieder Hinweise, dass viele Anführer und Mitglieder internationaler krimineller Vereinigungen zunehmend die Türkei als Standort nutzen. Viele Morde, die auf mafiöse Angelegenheiten hindeuten, wurden in den vergangenen Jahren in der Türkei verübt. So wurde am 7. September dieses Jahres der serbische Kriminelle Jovan Vukotic in Istanbul getötet. Er galt als Chef einer der berüchtigtsten Drogenbanden des Balkans. 2018 wurde der georgische Mafiaboss Gayoz Zviadadze in Antalya ermordet.
Im selben Jahr wurde der iranische Drogenhändler Naji Sharifi Zindashti wegen Mordes in Istanbul verhaftet. Er wurde mittlerweile freigelassen und ist seitdem auf der Flucht. Der aserbaidschanische Kriminelle Ali Gamidov wurde 2013 in Istanbul in einer luxuriösen Villa getötet. Verdächtigt wurde ein aserbaidschanischer Anführer einer anderen kriminellen Vereinigung, namens Rövshen Caniyev. Auch er wurde 2016 in Istanbul ermordet. Für seine Ermordung wurde sein Landsmann Nadir Salifov verdächtigt, der wiederum 2020 ermordet wurde.
Nur: Warum ist gerade die Türkei zu einem derartigen Tummelplatz für kriminelle Vereinigungen geworden? Hanefi Avcı ist ehemaliger Polizeichef der Städte Edirne und Eskisehir. Er weist im Gespräch mit der DW auf die Größe Istanbuls hin: In der Stadt leben offiziell mehr als 16 Millionen Menschen. "Die Mobilität der Menschen ist hoch", sagt Avcı. "Hierhin kommt jede Art von Menschen - auch solche, die zum organisierten Verbrechen gehören", so Avcı. In den vergangenen Jahren habe die Anwesenheit ausländischer Mafiakartelle, "vor allem aus dem postsowjetischen Raum, dem Balkan oder dem arabischen Raum", zugenommen.
"Die aktivsten kriminellen Vereinigungen in der Türkei sind diejenigen aus dem Balkan und dem Kaukasus", bestätigt der Journalist Timur Soykan im Gespräch mit der DW. Soykan schreibt für die gewerkschaftsnahe Tageszeitung "BirGün". Ihm zufolge ist die Türkei zum Hinterhof der Balkan-Mafia geworden. Die geografische Lage des Landes spiele dabei eine zentrale Rolle, da sich hier verschiedene Drogenhandelsrouten überschneiden. Auch der britische Historiker Mark Galeotti schrieb bereits vor zehn Jahren, dass die Lage der Türkei das Land für organisiertes Verbrechen "zu einer idealen Brücke zur und aus der Europäischen Union macht".