Sorge um ukrainische Reaktoren - Nato fürchtet Verschärfung der Lage
ProSieben
Wird Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zur atomaren Gefahr für die Welt? Feuer auf dem Gelände von Europas größtem AKW weckt längst vergessen geglaubte Ängste, auch wenn Experten beschwichtigen. Auf eine Flugverbotszone der Nato können die Ukrainer nicht hoffen.
Die Vereinten Nationen sprechen von einem Verstoß gegen das Völkerrecht, die Ukraine wirft Russland "nuklearen Terrorismus" vor und Moskau gibt ukrainischen Saboteuren die Schuld: Ein nach Kämpfen ausgebrochenes Feuer an Europas größtem Kernkraftwerk in der Ukraine schürt die Furcht vor einer atomaren Katastrophe infolge des russischen Angriffskriegs. Zwar versicherten beide Konfliktparteien und auch internationale Experten, bei dem bald darauf gelöschten Brand sei keine Radioaktivität ausgetreten. Doch wächst die Sorge vor einer völlig unkontrollierbaren Eskalation des Kriegsgeschehens. Die Nato erwartet eine deutliche Verschärfung der Lage und erwägt eine erhebliche Aufrüstung im östlichen Bündnisgebiet. Eine Flugverbotszone, auf die viele in Bombenkellern festsitzende Ukrainer hoffen, schloss die Militärallianz aus.
Nach der Einnahme des AKW nahe der Großstadt Saporischschja durch russische Truppen war in der Nacht zu Freitag auf dem Gelände ein Brand ausgebrochen, laut ukrainischem Innenministerium im Gebäude eines Trainingskomplexes. Es wurde am Morgen gelöscht. Die ukrainische Aufsichtsbehörde, das russische Verteidigungsministerium und später auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) versicherten, es sei keine erhöhte Strahlung gemessen worden.
Mit bis zu 6000 Megawatt ist das AKW das leistungsfähigste Europas. IAEA-Chef Rafael Grossi sagte in Wien, derzeit sei nur einer der sechs Reaktorblöcke in Betrieb. Alle Sicherheitssysteme seien unbeeinträchtigt, allerdings seien zwei ukrainische Sicherheitsmitarbeiter verletzt worden. Grossi schlug vor, dass Russland und die Ukraine unter seiner Schirmherrschaft am Gelände des 1986 explodierten ukrainischen Kernreaktors Tschernobyl über Sicherheitsgarantien für die ukrainischen Atomanlagen verhandeln.
Bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats überzogen sich sich die Vertreter der Ukraine und Russlands mit Vorwürfen. Der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kyslyzja warf Russland eine vorsätzliche Attacke auf das AKW und "nuklearen Terrorismus" vor. Es handele sich nicht nur um einen Angriff auf die Ukraine, sondern auch auf Europa, die ganze Menschheit und künftige Generationen. Auch andere Sitzungsteilnehmer sprachen von einem Bruch des Völkerrechts.
Nach ukrainischer Darstellung waren die Reaktorblöcke von russischen Panzern beschossen worden. Dagegen beschuldigte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja eine "ukrainische Sabotagegruppe", die nach einem Gefecht mit russischen Truppen das Feuer selbst gelegt habe. Von dem Kraftwerk, das nun unter russischer Kontrolle stehe, gehe keine Gefahr aus. Die Soldaten würden die Anlage sichern und sich nicht in die Arbeit der ukrainischen Arbeiter einmischen. Zudem sei "Personal mit einschlägiger Erfahrung hinzugezogen" gezogen.