
"Russland hat sich wie ein Terrier in seine Beute verbissen"
n-tv
Sechs Monate nach Beginn des russischen Überfalls wirkt der Frontverlauf in der Ukraine wie eingefroren. Das täuscht, sagt Markus Reisner, Offizier im österreichischen Bundesheer, der den Ukraine-Krieg von Anfang an analysiert. "Die Russen kommen nur langsam voran, aber sie kommen doch stetig voran." Die Waffenlieferungen des Westens seien zu knapp bemessen, um "einen erkennbaren Effekt auf dem Gefechtsfeld" zu zeigen.
Aus Reisners Sicht sind die Bevölkerungen des Westens eine potenzielle Schwachstelle für die Ukraine. "Jede Kriegspartei hat eine Achillesferse. Für die Ukraine ist es die Unterstützung durch den Westen - wenn die entfällt, kann sie in diesem Krieg nicht bestehen. Für Russland ist es der Zusammenhalt der eigenen Bevölkerung." Nach den Angriffen auf die Krim und dem Anschlag auf die Tochter des russischen Nationalisten Dugin erwartet Reisner eine Eskalation des Krieges. "Bis jetzt haben wir zum Beispiel kaum den Einsatz der russischen strategischen Luftstreitkräfte gesehen. Es kann durchaus sein, dass Russland diese nun zu einer massiven Vergeltung einsetzt."
ntv.de: Im Juli haben die Russen den Bezirk Luhansk vollständig eingenommen, mit dem Bezirk Donezk ist ihnen das noch nicht gelungen. Wie lange wird es nach Ihrer Einschätzung noch dauern, bis Russland den ganzen Donbass erobert hat?
Markus Reisner: Die Russen werden versuchen, bis zum Wintereinbruch noch so viel Gelände wie möglich in Besitz zu nehmen. Der Vormarsch der Russen im Donbass ist noch immer nicht gestoppt. Man kann den Krieg in mehrere Phasen einteilen. Die erste Phase war geprägt von einem Erfolg der ukrainischen Seite - die russische Seite war also gezwungen, sich neu aufzustellen. Die Kämpfe im Donbass leiteten eine zweite Phase ein. Hier gelang es den Russen kurzfristig bei der Kesselschlacht von Lyssytschansk eine regionale Entscheidung herbeizuführen. Eine dritte Phase würde hingegen durch eine Offensive der Ukraine eingeleitet werden, zum Beispiel im Raum Cherson. Davon sehen wir zurzeit jedoch nichts. Es scheint, dass die Ukraine zumindest durch Angriffe auf der Krim und in Russland bei Belgorod Initiative zeigen möchte.
