Raus aus dem Schatten
Süddeutsche Zeitung
Schweden schlägt mit einem jungen Team Titelverteidiger Spanien in einem hochklassigen und dramatischen Finale und wird Europameister. Der sportlich gelungene Abschluss versöhnt immerhin für ein chaotisches Corona-Turnier.
Ausgerechnet Joan Canellas. Knapp zwei Meter und 110 Kilogramm personifizierte spanische Handball-Klasse, ein 35-jähriger Stratege, der im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere ausschließlich bei Weltklubs unter Vertrag stand, ein Profi, mit allen Wassern gewaschen. Bei der Handball-Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei war er noch einmal zu großer Form aufgelaufen, hatte sein Team gegen Weltmeister Dänemark ins Finale geführt, mit Zauberanspielen und sieben Toren. Auch im Endspiel gegen Schweden hatte er seiner Mannschaft, als sie nicht recht ins Spiel finden wollte, den Weg gezeigt. Canellas strukturierte das Angriffsspiel, hatte den Blick für den besser postierten Nebenmann, schuftete in der Abwehr.
Und nun stand es 26:26, nur 24 Sekunden waren noch zu spielen - und dann nahm Canellas diesen Wurf. Er wollte ein Foul provozieren, Zeit von der Uhr nehmen, die Gelegenheit schaffen, sich für den finalen Versuch zu präparieren. Aber Jonathan Carlsberg und Jim Gottfridsson taten ihm den Gefallen nicht, sie blieben regelkonform, und Canellas musste abschließen. Heraus kam ein Würfchen, für Schwedens Torhüter Andreas Palicka kein Problem, und für die Schweden die Chance zum letzten Angriff. Albin Lagergren bekam den Ball, stürmte mit Wucht auf das spanische Tor und wurde zu Fall gebracht - von Joan Canellas.
Schweden gewinnt in einem dramatischen Finale gegen Titelverteidiger Spanien die Handball-Europameisterschaft - und beendet damit eine Durststrecke von 20 Jahren. Von Ralf Tögel
Siebenmeter, die Zeit war abgelaufen. Das Ende ist bekannt, der Kieler Rechtsaußen Niclas Ekberg verwandelte zum 27:26, Schweden ist Europameister.
Es war ein hochklassiges Endspiel, geführt von zwei Mannschaften, die den Titel zu Recht unter sich ausmachten. Auf der einen Seite die Spanier, Gewinner der beiden EM-Turniere zuvor. Ein Team, das jedoch auf eine Reihe Routiniers verzichten musste, die maßgeblich für die Erfolge der jüngeren Vergangenheit standen. Dennoch hatte es Trainer Jordi Ribera geschafft, eine stimmige Mischung zu formen, aus den verbliebenen Haudegen wie Canellas und Kapitän Gedeon Guardiola, 37, aus Nachnominierten wie Daniel Sarmiento, 38, und aus nachrückenden Hochtalentierten wie Aleix Gomez, 24, der zum besten Rechtsaußen des Turniers gewählt wurde, oder Spielmacher Ian Tarrafeta, 23. Ein Team, das sich einmal mehr mit Teamgeist und Einsatzwillen nach holprigem Start ins Turnier biss. Und im Halbfinale den Turnierfavoriten Dänemark aus dem Wettbewerb gekegelt hatte.