Räumen die Haut abziehen
Süddeutsche Zeitung
Mit der Akribie eines Hannibal Lecter arbeitet die Schweizer Bildhauerin Heidi Bucher an der Architektur. Sie war fast vergessen, jetzt wird sie im Münchner Haus der Kunst wiederentdeckt - ausgerechnet dort.
Die schmale, langhaarige Frau kniet vor der Fensterbrüstung, sie tastet die hölzernen Kassetten ab, bis sich etwas lockert am Rahmen. Doch es ist weder das Holz noch das Glas, das sie dann mit einem Ruck abreißt - was sie in beiden Händen hält, wirkt, als habe man dem Raum die Haut abgezogen. Heidi Bucher hebt das meterhohe Stück kurz in die Luft, löst eine weitere Ecke ab, arbeitet sich die Wand entlang. Der Film folgt ihr, aber wer sich umschaut, im kleinen Saal des Ostflügels im Münchner Haus der Kunst, der begreift, dass die hohen Bahnen, die hier zum Geviert gehängt und als "Herrenzimmer" (1978/82) betitelt sind, so entstanden. Dass sie nicht gemalt sind, kein Bild sind und auch keine Kulisse - sondern der Abdruck eines Raums, so akkurat und präzise wie ein Negativ oder die Abformung eines Reliefs. Dabei zart wie Pergament und funkelnd wie Bernstein. Im Abdruck der hölzernen Kassettenwände, von Türrahmen und wuchtigen Fensterlaibungen, scheint vergangenes Leben eingeschlossen - als wären die Bahnen getränkt mit den Gepflogenheiten und Konventionen konservativer Familienverhältnisse, in denen sich die Männer zum Rauchen ins getäfelte "Herrenzimmer" zurückziehen, während Frauen und Kinder in der Küche verschwinden.