Proteste in Kasachstan: Demokratie wagen
Frankfurter Rundschau
Autoritäre und kleptokratische Staaten wie Kasachstan sind instabil, wenn sie mit großen Problemen wie einer Pandemie konfrontiert sind. Der Leitartikel.
30 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion sind von den 15 Republiken des Imperiums nur drei demokratisch: Estland, Lettland, Litauen. Drei sind auf dem Weg zu Demokratien – Ukraine, Georgien und die Republik Moldau. Zwei – Armenien und Kirgisistan – zeigen vielversprechende Tendenzen; die übrigen gelten als mehr oder weniger autoritär und mindestens Belarus ist eine lupenreine Diktatur.
Alle diese problembeladenen Staaten sind der EU viel näher als der mediale europäische Blick es vermuten lässt. Europas Nachbarn durchlaufen seit 30 Jahren schmerzhafte Wandlungsprozesse, und in Kasachstan ist jetzt sichtbar, wie dramatisch solch ein Wandel sein kann, wenn die politischen Eliten demokratische Mitbestimmung unterdrücken.
Viel ist die Rede darüber, dass Russland nervös werde, weil – wieder – in seiner Nachbarschaft ein Volk einem autokratischen Regime zeigt, dass es nicht alles mit sich machen lässt. Das ist richtig: Für den Kreml ist jede politische Ruhestörung in seiner Nähe ein Problem. Sehen die Menschen in Russland doch so, dass Widerstand und Wandel möglich sind.
Interessanter ist aber die Frage, welche Reaktionen, welche Strategien die EU für solche politischen Umbrüche parat hat. Erkennbar ist bisher keine.
Dabei lehrt die Geschichte, dass früher oder später in allen ehemaligen sowjetischen Staaten deutliche Veränderungen erfolgen. Wie sie erfolgen, das ist die entscheidende Frage. Bisher zeigen sich nur, was die Zentralasien-Expertin Erica Marat in einem Interview mit tagesschau.de auf den Punkt bringt: „In offeneren Gesellschaften wie Georgien, der Ukraine und Kirgisistan waren diese Proteste früher zu beobachten, in geschlosseneren Gesellschaften wie Kasachstan und Belarus etwas später. Aber jedes Land, das sich öffnen will, muss diesen Prozess durchlaufen.“