Politiker als Tiere
Süddeutsche Zeitung
In Österreich zählt der schöne Schein so viel wie kaum anderswo. Wie auch die sündhaft teuren Umfragen des Finanzministeriums belegen. Was haben sie herausgefunden?
Als die Pandemie ausbrach, soziale Kontakte weniger wurden und in manchen Wohnungen die große Einsamkeit einzog, begannen die beiden eher unwahrscheinlichen Briefpartner Claus Pándi, Chefredakteur der Salzburg-Krone, und Armin Thurnher, Herausgeber des Falter, einander - und damit allen, die ihnen auf Twitter folgen - Gedichte zu schicken. Zum Nachdenken, zum Aufmuntern. Mittlerweile machen sie das, wenn ich mich nicht täusche, leider nicht mehr täglich. Ich mochte diese junge Tradition, ich habe vieles kennengelernt, was mir neu war.
Nun hat Lojze Wieser, slowenischsprachiger Verleger aus Klagenfurt, auf Twitter einen schönen Vorschlag eingereicht: Es werde "Zeit für dieses Gedicht" schrieb er, und stellte Verse von der großen Rose Ausländer vor. "Noch bist du da", heißt das kurze Werk und gehört zu den schönsten, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Die ersten Worte gehen so: "Wirf deine Angst / in die Luft", die letzten lauten: "Sei was du bist / Gib was du hast."
Sei, was du bist, gib, was du hast. Zwei schlichte Regeln. Und so schwer zu leben. Was - Achtung abrupter Themen- und Stimmungswechsel - in Österreich manchmal noch ein wenig schwerer zu sein scheint als anderswo, weil der schöne Schein so wichtig ist - und uns unmittelbar zur Titelsucht im Land der Kommerzialräte, Oberbereiter, Kammerschauspieler und Militärerzdekane führt.
Was ist los in Österreich? Wir informieren Sie jeden Freitag im Newsletter - mit allen Texten der SZ zu Österreich. Gleich kostenlos anmelden.
Es gibt zurzeit besonders viele gute Anlässe, über Titel, Ehren, Aufstiege nachzudenken. Da ist, zum einen, der Professorentitel, den man in Österreich auch ohne Habilitation als "Berufstitel" verliehen bekommen kann wegen besonderer Verdienste um die Republik. Ende vergangenen Jahres wurde er zum Beispiel einem PR-Berater und Herausgeber eines Lifestyle-Magazins verliehen. Schön für ihn. Die Sache wurde anscheinend noch unter Ex-Kanzler Kurz eingetütet. Über einen anderen Glücklichen, der schon 2010 den Professorentitel verehrt bekam, habe ich unlängst in einem Urteil des Oberlandesgerichts Graz aus dem Jahr 2018 gelesen, dass es "keinen Wertungsexzess" darstelle, wenn man in seinem Fall sage, "nur die Aberkennung dieses Titels würde die Ehre des Titels wiederherstellen". Interessante Idee.