Pocken-Impfpflicht wurde vor 40 Jahren abgeschafft – war das sinnvoll?
RTL
Mediziner erklärt, wieso eine Pocken-Impfpflicht heutzutage nicht von Nöten ist - trotz Affenpocken. Bei Masern sieht es jedoch anders aus.
Viele tragen sie bis heute am Arm: Die Narbe der Pockenimpfung. Diese sorgte dafür, dass Milliarden von Menschen weltweit vor der Viruserkrankung geschützt wurden. 1967 startete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre Impfkampagne, keine 20 Jahre später waren die Pocken tatsächlich ausgerottet. Mit der derzeit ungewöhnlichen Häufung von Affenpockenfällen in westlichen Ländern durch einen verwandten Erreger, stellt sich die Frage, ob das wirklich eine so gute Idee war, diese Impfpflicht abzuschaffen. Denn: Fachleute nehmen an, dass herkömmliche Pockenimpfstoffe einen gewissen Schutz vor den Affenpocken bieten. Allgemeinmediziner und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht erklärt, warum eine Pocken-Impfpflicht jetzt trotzdem nicht notwendig ist.
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Für was brauch man eine Impfpflicht, wenn das Virus und dessen Erreger gar keine Rolle mehr spielen? Dr. Specht macht im RTL-Interview deutlich: "Man hat nach 1980, als die Pocken weltweit als ausgerottet erklärt wurden, keinerlei Fälle mehr gesehen. Daher hat man gesagt: Okay, den Erreger gibt es so in freier Wildbahn nicht mehr, deswegen müssen wir gegen diese Erkrankung gar nicht mehr vorgehen und impfen."
Bei Pocken dürften viele an Windpocken oder sogar an Masern denken. Und die gibt es nach wie vor – wenn auch ohne Impfpflicht. "Bei Masern ist das ganz anders. Die hätte man schon längst ausrotten können, wäre man strikter gewesen. Hier gibt es nach wie vor viele Fälle, weil es das Virus noch in freier Wildbahn gibt. Teils enden Infektionen tödlich; das Virus ist sehr ansteckend und lässt sich noch leichter übertragen als zum Beispiel das Coronavirus." Obwohl regelmäßig und häufig gegen Masern geimpft werde, gebe es keine Impfpflicht, so der Mediziner. Was aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr problematisch sein könne.
Warum es so einfach gewesen wäre, auch Masern – genau wie die Pocken – auszurotten? "Weil nur der Mensch Erregerreservoir ist. Die Masern-Viren gibt es nicht bei Tieren – anders als zum Beispiel bei Pocken und dem Coronavirus –, was eigentlich ein Riesenvorteil sein könnte. Wir errinern uns: Aber man bräuchte eine Impfquote von 95 Prozent, erst dann würde sich das Virus totlaufen und findet keine Opfer mehr."
Man versuche bereits seit Ewigkeiten, das Masern-Virus loszuwerden, denn: Das Virus solle nicht unterschätzt werden: dürfe es nicht unterschätzen:"Kinder unter einem Jahr können noch nicht dagegen geimpft werden. Wenn sie dann Masern bekommen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie die Infektion gut überstehen." Aber der Mediziner erklärt, dass die Komplikationen, die erst Jahre später auftreten können, gravierend seien. "SSPE, eine subakute sklerosierende Panenzephalitis, eine Art Hirnhautentzündung, tritt in 1:300 Fällen auf – was gar nicht mal so wenig ist. Und die endet tödlich, das ist ein extrem hoher Risikofaktor. Kinder gegen Masern zu impfen ist enorm wichtig: für einen selbst und auch für andere."
Die Impfquote bei beispielsweise Schulkindern sei jedoch "ganz gut", vor allem da Gemeinschaftsunterkünfte wie Kindergärten viel Wert auf Masernimpfung legen und dort eine Impfpflicht herrscht.
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