Olaf Nicolai und sein 24-Stunden-Projekt „MARX“ – Von Montevideo über Tiflis bis Jerusalem
Frankfurter Rundschau
Der Künstler Olaf Nicolai bringt an 16 Orten der Welt und in verschiedenen Zeitzonen seinen Film über den Chemnitzer Karl-Marx-Kopf zur Uraufführung.
Als aus dem realsozialistischen Karl-Marx Stadt 1990 wieder Chemnitz wurde, gab es heftigen politischen Zank und Streit. Die einen wollten den gewaltigen Marx-Kopf nahe der Straße der Nationen abreißen. Die anderen verhinderten den Bildersturm.
Ungerührt blickte indessen der bronzene Klassiker des wissenschaftlichen Kommunismus mit seinen geradezu zornig anmutenden kantigen Zügen vom hohen Podest herab ins Zentrum der Stadt, die seinen Namen in der nun angebrochenen neuen Zeit ablegte. 1971 war die Bronze, in deren Inneres man sogar hineingehen kann, mit großem Polit-Brimborium aufgestellt worden – ein staatliches Auftragswerk und die damals zweitgrößte Porträtplastik der Welt. Der sowjetische Bildhauer Lew Kerbel formte sie im expressionistischen Stil. Es folgte in den späten Achtzigerjahren der nächste DDR-Staats-Auftrag: Die naturalistische Bronze des von den Nazis im KZ Buchenwald ermordeten KPD- Führers Ernst Thälmann in Berlin-Prenzlauer Berg, bekanntlich beliebtes Objekt der Sprayer-Szene.
Der Künstler Olaf Nicolai, Jahrgang 1962 und aufgewachsen wie sein Bruder Carsten Nicolai, in Karl-Marx-Stadt, nimmt sich in seinem 24-Stunden-Film „MARX“ des bis heute zwiespältig gesehenen Chemnitzer Monuments an. Es wird noch immer von den Einwohnern und in ganz Sachsen halb sarkastisch, halb trotzig-liebevoll „Nischel“ oder auch „Schädelstätte“ genannt, angelehnt an Golgatha. Wie auch immer empfunden, ist die Bronze ein Wahrzeichen der Stadt.