
Ob wir Ukrainer kriegsmüde sind? Aber, ja!
n-tv
Silvester ist für die meisten von uns Ukrainern das höchste Fest im Jahr. Wieder erleben wir es inmitten des russischen Angriffskriegs. Das Leben in Kiew zehrt an den Nerven, könnte aber noch viel schlimmer sein. Die Gesellschaft kann kaum noch - und steckt dennoch nicht auf.
Die Menschen in der Ukraine begehen zum dritten Mal in Folge den Jahreswechsel, das wichtigste Familienfest, inmitten des Krieges. Für uns in Kiew und allen anderen Regionen fernab der Front bedeutet das vor allem eines: Es hat sich eine Normalität eingestellt, die eigentlich nicht normal ist. Nicht normal sein darf. Die ständigen russischen Luftangriffe sind, vorsichtig formuliert, anstrengend. Dabei sind die Umstände in der ukrainischen Hauptstadt noch milde im Vergleich zu Großstädten wie Charkiw oder Saporischschja, die näher an den umkämpften Gebieten gelegen sind. Anders als in Kiew ist es dort eher Regel als Ausnahme, dass der Luftalarm erst auslöst, wenn etwa eine ballistische Rakete längst eingeschlagen hat. Noch schlimmer ergeht es den Menschen in Städten wie Kramatorsk oder Slowjansk in der hart umkämpften Region Donezk. Das Alltagsleben dort ist ohne jede Übertreibung die Hölle auf Erden.
Dieses Wissen macht das Leben in Kiew dennoch nicht leichter. Die Hauptstadt liegt seit Beginn des Krieges im Fokus der russischen Luftangriffe. Bis zum Sommer dieses Jahres aber folgten Phasen, in denen Kiew jede zweite Nacht angegriffen wurde, Wochen oder Monate relativer Ruhe. Doch damit ist es sei Monaten vorbei. Wenn einmal ein paar Tage nichts geschieht, kein Luftalarm vom Handy gemeldet wird, niemand überlegen muss, ob es Zeit für den Bunker oder Luftschutzkeller ist, geht es gleich wieder von vorne los. Unablässig nimmt Russland mit Raketen und Marschflugkörpern die Energieinfrastruktur unseres Landes unter Beschuss.
Während der letzten drei Monate gab es kaum eine Nacht, in der Kiew und das übrige Hinterland nicht massiv mit Kampfdrohnen angegriffen wurden. Anfangs waren das noch vor allem vom Iran hergestellte Shahed. Inzwischen werden sie in Russland selbst produziert - und auch weiterentwickelt. Dass Moskau die Produktion zuletzt bedeutend erhöhen konnte, bekommen die Ukrainerinnen und Ukrainer buchstäblich jede Nacht zu spüren.
