"Notfalls gehe ich in ein Callcenter"
Süddeutsche Zeitung
Von Mitte März an soll für Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, eine Impfpflicht gelten. Doch was ist mit jenen, die sich dennoch nicht immunisieren lassen wollen? Gespräche mit Menschen, die voller Zweifel sind - und vielleicht schon bald ohne Job.
Manchmal, sagt Ines Müller, wache sie mitten in der Nacht auf, schaue an die Schlafzimmerdecke und warte darauf, dass die Gedanken endlich aufhören zu kreisen. Sie frage sich dann, ob sie es sich nicht doch anders überlegen sollte. Ob nicht alles leichter wäre, wenn sie sich doch nur endlich impfen ließe. Der Alltag. Ihre Arbeit in der Verwaltung einer Einrichtung für bedürftige Menschen. Mit ihrer 15-jährigen Tochter könnte sie wieder in die Stadt gehen, um mit ihr in einem Geschäft eine neue Jeans zu kaufen. Einfach so, wie früher. Aber dann kreisen ihre Gedanken weiter und weiter, bis sie an dem Punkt ankommen, von dem sie ausgegangen sind. Und sie sich denkt: Niemals.
Irgendwann sei es ihr zu viel geworden mit dem Grübeln, also hat sie, die gelernte Kauffrau im Gesundheitswesen, 52 Jahre alt, eine Kleinanzeige im Internet aufgegeben. Ungeimpfte sucht neuen Job.
Seit Jahresbeginn häufen sich Inserate dieser Art in Zeitungen, Online-Portalen und Anzeigenblättern. Darin ist von Menschen die Rede, die eine neue Tätigkeit brauchen, weil sie ihre bisherige mit der bald in Kraft tretenden berufsbezogenen Impfpflicht, die von Mitte März an gelten soll, nicht mehr ausüben können. Vielfach wurden diese Anzeigen zuletzt als "Fakes" enttarnt, als orchestriert von Gegnern einer Impfpflicht, die ein Zeichen setzen wollten gegen das, was Ungeimpften möglicherweise bald bevorsteht.
Bundesweit tauchen Stellengesuche ungeimpfter Pflegekräfte in Zeitungen und Wochenblättern auf. Manchmal mehr als 100. Was dahintersteckt. Von Anna Ernst
Ganz gleich, wie viele dieser Anzeigen nun real sind und wie viele davon allein dem Zweck dienen, eine Kleinanzeige mit großer Bedeutung aufzuladen: Es stimmt ja, dass nach Gesetzeslage ungeimpfte Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, ihren Job verlieren müssten. Es stimmt auch, dass sich im Januar 12 000 Pflegekräfte mehr als üblich arbeitslos gemeldet haben, wobei nicht klar ist, inwiefern dies an einer bevorstehenden Impfpflicht liegt.