Nach dem Erdbeben: Proteste gegen Erdogan in Fußballstadien
DW
In der Türkei haben bei Fußballspielen erstmals Tausende Fans Präsident Erdogan zum Rücktritt aufgefordert. Diese Art des Protestes - wenige Monate vor den Wahlen - ist eine "ernstzunehmende Warnung" an die Regierung.
Sport und Politik sind auch in der Türkei nicht mehr voneinander zu trennen. Aber: Nach der schweren Erdbebenkatastrophe im Südosten des Landes hatte sich die Wut der Öffentlichkeit am vergangenen Wochenende erstmals direkt auf die Regierung von Präsident Erdogan gerichtet. Die Verärgerung machte sich in den Stadien der großen Traditionsvereine breit.
Die Fans von Fenerbahce und Besiktas Istanbul forderten bei ihren Liga-Spielen lautstark den Rücktritt der Regierung. Erdogan und seine Minister wurden nach der Erdbeben-Katastrophe insbesondere von der Opposition kritisiert. Gerade der Umstand, dass alle Verantwortlichen den Bau von Erdbeben-unsicheren Gebäuden unmittelbar an der Verwerfungslinie genehmigten oder ein Auge zudrückten, macht viele Menschen wütend. Ein weiterer massiver Kritikpunkt: Das verspätete Eintreffen der Such- und Rettungskräfte im gesamten Erdbebengebiet.
Die Verwüstungen, die das Erdbeben am 6. Februar 2023 in dem seit Monaten mit einer Wirtschaftskrise kämpfenden Land angerichtet hat, haben die Reaktionen gegen die Regierung vor den anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen noch weiter verstärkt.
Die Ereignisse des Wochenendes können zur Folge haben, dass die Regierung, die seit Jahren die Meinungs- und Pressefreiheit im Lande einschränkt, auch versuchen wird, die kritischen Stimmen auf den Tribünen zum Schweigen zu bringen. Devlet Bahceli, Vorsitzender der regierenden Partei MHP, des nationalistischen Partners von Erdogans Partei AKP, sagte, er verurteile "auf das Schärfste die Nutzung des Sports für schmutzige Politik" in einer Zeit, in der die Wunden des Erdbebens noch nicht verheilt seien.
Seine Forderung: Alle Spiele sollten ab jetzt Geisterspiele werden, also ohne Zuschauer ausgetragen werden. Eine erste Maßnahme: Die Fans von Fenerbahce dürfen das Auswärtsspiel gegen Kayserispor am kommenden Wochenende nicht besuchen. Das teilte der Klub am Dienstag via Twitter mit und zeigte sich bestürzt über die Entwicklungen.