Mit Anlauf in die Mauer
Frankfurter Rundschau
Warum Johannes Vetter, der Topfavorit im Speerwurf, mit dem Belag im Olympiastadion nicht klarkommt und weit unter seinen Möglichkeiten bleibt.
Johannes Vetter fand ein Bild, um sein Dilemma zu beschreiben. „Ich vergleiche das immer mit Aquaplaning“, sagte der 27-Jährige: „Versucht da mal zu bremsen, wenn ihr auf die Mauer zurast.“ Das Ergebnis lieferte der Speerwerfer gleich mit: „Ihr knallt dagegen.“ Die Journalisten sollten mit dem Auto-Vergleich ein Gefühl dafür bekommen, wie er sich zuvor gefühlt hatte. Im übertragenen Sinne knallte Vetter im Olympiastadion heftig in die Mauer, und es wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen, ob sich der aus Dresden stammende Topstar der deutschen Leichtathletik dabei mehr zugezogen hat als einen Blechschaden. Vetter selbst und die deutsche Öffentlichkeit hatten eine klare Erwartungshaltung. Der Seriensieger sollte, musste und wollte die Goldmedaille gewinnen. Die Fallhöhe war immens, der Aufprall deshalb krachend. Die vorherigen 19 Wettkämpfe hatte Vetter allesamt gewonnen, zum Teil lag er dabei meterweit vor der Konkurrenz, so dass er einer der größten Favoriten bei den Leichtathletik-Wettbewerben überhaupt war. Der Modellathlet, der in Offenburg mit Boris Obergföll trainiert, hatte den Speer in der laufenden Saison reihenweise 90 Meter und weiter geworfen, seine Jahres-Bestleistung hatte er im Mai auf 96,29 gesteigert, ein Jahr zuvor sogar 97,76 Meter geschafft. Der Weltrekord des legendären Tschechen Jan Zelezny (98,48) aus dem Jahr 1996 war in Reichweite gekommen. Kein Speerwerfer auf der Welt hat das Potenzial, das Sportgerät so weit zu schleudern wie der Deutsche. Im Olympiastadion in Tokio hat ihm das nicht geholfen, seine Fähigkeiten bremsten ihn sogar aus. „Es ist zum Kotzen“, sagte Vetter nach der schmerzhaftesten „Ehrenrunde“ seiner Karriere. Der Favorit musste einen großen Teil der 400-Meter-Bahn umrunden, um zu seinem Ausgang aus der Arena zu gelangen. Unerwartet früh musste er den Innenraum des Stadions verlassen, nachdem er die finalen drei Würfe des Feldes nicht mehr mitmachen dürfte. Der olympische Wettkampf war nach drei Durchgängen beendet. Ein Wurf auf 82,52 Meter und zwei ungültige Versuche reichten nur zum neunten Rang, die Siegesserie endete ausgerechnet bei den Olympischen Spielen in Tokio.More Related News