Meinung: Jetzt wird klar, was Putin will
DW
Russlands Präsident sucht keinen Kompromiss - er will, dass der Westen kapituliert. In der Ukraine-Frage strebt Putin einen Showdown mit der NATO an. Das muss der Allianz klar sein, meint DW-Redakteur Konstantin Eggert.
Wladimir Putin erzählt in seinem Buch "Aus erster Hand" eine Geschichte aus seiner Jugend, als er mal in seinem Wohnblock in Leningrad eine fette Ratte jagte. Er und ein paar Freunde hatten das Tier um ein paar Ecken gehetzt, als die Ratte urplötzlich aggressiv wurde und ihrerseits den jungen Putin aggressiv angriff. Jetzt waren es Putin und seine Kumpels, die fliehen mussten. Wieso diese Geschichte wieder mal wichtig ist? Weil für Putin Geschichten, in denen es um Stärke und Verzweiflung geht eben mehr sind als nur Geschichten. Gerade in diesen Tagen kann die Anekdote mit der Ratte wieder mal als Metapher gelesen werden.
Kurz vor und kurz nach Putins Telefonat mit US-Präsident Joe Biden vom vergangenen Donnerstag machten hintereinander sein Außenminister Lawrow, sein außenpolitischer Berater Juri Uschakow sowie der russische Botschafter in den USA Anatoli Antonow eins klar: Russland wird sich nicht lange mit Gesprächen im Kalter-Krieg-Stil aufhalten. Es will rechtlich verbindliche "Sicherheits-Garantien" vom Westen: die Zusage, dass keine weiteren ehemaligen Sowjetstaaten in die NATO aufgenommen werden (Ukraine, Georgien) sowie das Versprechen, die militärische Aktivität in Mittelosteuropa und den baltischen Staaten herunterzufahren. Russland will, dass keine Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Putin macht klar: Die Truppen an der ukrainischen Grenze wird er erst abziehen, wenn die NATO ihr 2008 gegebenes Versprechen an die Ukraine und Georgien über eine zukünftige Mitgliedschaft kassiert.
Nach über 20 Jahren auf der internationalen Ebene weiß Putin natürlich nur all zu gut: Das alles wird niemals passieren. Würde die NATO wirklich ihre auf dem Gipfel 2008 in Bukarest gegebenen Versprechen aufgeben - so kontrovers diese auch unter den europäischen NATO-Staaten diskutiert worden waren -, dann wäre das, als würde die Allianz den Russen quasi das Vetorecht über die eigenen Entscheidungen einräumen. Es wäre das Ende der NATO wie wir sie kennen.
Biden hat die Bukarest-Versprechen zumindest schon mal ein wenig eingeschränkt. Die Ukraine müsse erstmal ihr Korruptionsproblem in den Griff kriegen, bevor weiter über eine NATO-Mitgliedschaft nachgedacht werden könne. Auch hat er schon klar gemacht, dass keine großen Waffen auf ukrainischem Gebiet gelagert werden würden. Theoretisch ist es sogar denkbar, dass Biden noch die US-Militärkooperation mit Kiew etwas einschränken wird, das allerdings würde den US-Kongress wohl verärgern.
Im Grunde hat Washington eigentlich schon so ziemlich alle möglichen Zugeständnisse an Russland gemacht, bevor es überhaupt zu bilateralen Gesprächen in Genf kommt - diese sind für den 10. Januar anberaumt. Trotzdem macht der Kreml Druck und fordert weitere Zugeständnisse. Obwohl den Russen klar sein müsste, dass diese total illusorisch sind. Die Frage ist: Wieso macht Moskau diesen Druck?