
Meinung: Die neue Generation der Diktatoren in Lateinamerika
DW
Früher trugen sie olivgrüne Uniform und kamen mit Gewalt an die Macht. Heute lassen sie sich ganz einfach wählen. Und die echten Demokratien schauen nur hilflos zu, meint Johan Ramírez.
Die lateinamerikanischen Diktatoren haben sich angepasst. Sie haben verstanden, dass sie sich erneuern, wandeln und vor allem auf Kasernenrevolten verzichten müssen, wenn sie im 21. Jahrhundert überleben wollen. Deshalb tragen die Tyrannen, die heute die ärmsten Länder der Region regieren, kein Olivgrün mehr. Sie erobern ihre Macht nicht mehr wie in den vergangenen Jahrzehnten mit Gewehrkugeln.
Seit der Jahrtausendwende haben sie ausgerechnet demokratische Mechanismen genutzt, um ihre modernen totalitären Regime zu errichten - und das in aller Öffentlichkeit. Sie beschreiten vor allem drei Wege: Wahlen, internationale Gremien und geregelte Verfahren. Indem sie diese Mechanismen nach Belieben manipulierten, sind sie stark geworden, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen.
Ein guter Beleg für diesen Befund ist das, was wir in diesen Tagen in Nicaragua erleben. Am Sonntag (9.1.) hat die neu gewählte Nationalversammlung ihre Arbeit aufgenommen, am Montag (10.1.) wird der Diktator Daniel Ortega für eine weitere fünfjährige Amtszeit vereidigt. Doch im Gegensatz zu den traditionellen Diktaturen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren Terror in Mittelamerika verbreiteten, kann sich Ortega auf das Ergebnis allgemeiner Wahlen berufen. Natürlich handelte es sich um manipulierte Wahlen, die im November genau das Resultat lieferten, das der Diktator gerne haben wollte.
Denn Daniel Ortega hat die staatlichen Institutionen genutzt, um die Wahllisten zu bereinigen und diejenigen aus dem Rennen zu nehmen, die ihm in einer echten Demokratie die Macht entrissen hätten. Er setzte die Justiz ein, um seine politischen Gegner ins Gefängnis zu werfen, unbequeme Journalisten zu verfolgen und zivilgesellschaftliche Organisationen zu verbieten, die seine Verfehlungen anprangerten.
Und so nutzte er das in der Verfassung garantierte Wahlrecht, um ein Parlament zu schaffen, das ihm genehm war, und um sich selbst für eine weitere Amtszeit zu bestätigen. Ortega ist der lebende Beweis dafür, dass man auch ohne einen Staatsstreich Diktator werden kann.
