Meinung: Die katholische Kirche hat jedes Vertrauen verspielt
DW
Das neue Gutachten aus München hat noch mehr Missbrauch und Vertuschung in der katholischen Kirche aufgedeckt. Man kann den Bischöfen nicht mehr vertrauen, der Staat muss endlich eingreifen, meint Martin Gak.
20 Jahre sind seit dem Bericht des Boston Globe über den sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Priester der Erzdiözese Boston vergangen. In der Zwischenzeit wurde der Katalog des Schreckens immer dicker, und die Zahl der von Kirchenleuten missbrauchten Kinder auf der ganzen Welt ist unermesslich.
Jahr für Jahr sind die Zahlen gestiegen, während die Opfer weiterhin Wiedergutmachung von der Kirche forderten. Die Öffentlichkeit ist inzwischen abgestumpft angesichts des Ausmaßes der Verbrechen. Ab und an wird ein neuer Bericht vorgelegt, wie vor einigen Tagen in München, der es dann in die Schlagzeilen schafft, weil er die Dimension und Mitverantwortung selbst höchster Kirchenkreise für das Leid sichtbar macht.
Mit diesem jüngsten Bericht kommen weitere rund 500 Opfer aus der Zeit zwischen 1945 und 2019 allein in der Erzdiözese München und Freising zu den mehr als 3500 Opfern in ganz Deutschland hinzu, deren Fälle in der sogenannten MHG-Studie im Jahr 2018 enthüllt worden waren. In dieser waren jedoch noch keine Zahlen aus dem Münchener Erzbistum enthalten.
In Irland wurden 9000 tote Kinder, die unter ungeklärten Umständen in den berüchtigten Heimen für unverheiratete Mütter starben, in anonymen Gräbern beigesetzt. Der weit verbreitete Missbrauch von Kindern in katholischen Internaten in Kanada führte zu mindestens 6000 Todesfällen. Viele dieser Opfer wurden ebenfalls in anonymen Gräbern entdeckt. In Frankreich schätzte eine unabhängige Studie im vergangenen Jahr, dass Priester und Mitarbeiter der katholischen Kirche seit 1945 mehr als 300.000 Kinder missbraucht haben.
Aber es ist nicht nur der Missbrauch allein, der an der Geschichte der kirchlichen Sexualverbrechen an Minderjährigen so zutiefst empörend ist: Die Kirche hat mit ihrem skandalös schleppenden Tempo der Aufarbeitung zugleich deutlich gemacht, dass sie nicht mit staatlichen Behörden bei der Untersuchung dieser Verbrechen kooperieren will. Ihre institutionelle Verschwörung des Schweigens - der Schutz des Beichtgeheimnisses und die Weigerung, Akten zu veröffentlichen oder sie den Behörden zu übergeben - wurden erneut durch die Enthüllungen aus München bestätigt; Enthüllungen, die darüber hinaus den emeritierten Papst Benedikt XVI. und ehemaligen Erzbischof von München, Joseph Ratzinger, in vier Missbrauchsfälle verwickeln.