Libyen: Zwischen Chaos, Korruption und Geopolitik
DW
Mit einem Brandanschlag auf ein Parlamentsgebäude äußerte sich der Unmut vieler Libyer über politische und wirtschaftliche Stagnation in drastischer Form. Doch auch die russische Einflussnahme dort löst Besorgnis aus.
Brennende Autoreifen, lautstark vorgebrachte Forderungen nach baldigen Wahlen, aber auch nach besserer Stromversorgung und niedrigeren Brotpreisen: Vehement forderten die libyschen Bürger am vergangenen Wochenende ihre Politiker auf, endlich an die Arbeit zu gehen und sich um die Belange der Bürger zu kümmern. Sie taten dies auf unterschiedliche Weise: Während die meisten Demonstranten in der Hauptstadt Tripolis friedlich blieben, zündeten Protestierende in der Stadt Tobruk, dem konkurrierenden Machtzentrum, das dortige Parlamentsgebäude an. Ein Video zeigt einen Bulldozer, der den Eingang des Gebäudes rammte.
Inzwischen ist der Protest abgeflaut, doch wird nicht ausgeschlossen, dass er wieder aufflammen und an Vehemenz zunehmen könnte. So appellierte die UN-Sonderberaterin für Libyen, Stephanie Williams, an alle Beteiligten, Ruhe zu bewahren. Gewaltakte wie die Stürmung des Parlaments seien "völlig inakzeptabel".
Die Proteste seien ein Aufruf an die libyschen Politiker, ihre Differenzen zu überwinden und Wahlen in die Wege zu leiten, erklärte sie in einem weiteren Tweet.
Den Demonstranten gehe es vor allem darum, den seit Jahren stockenden Einigungs- und Friedensprozess voranzubringen, sagt Thomas Claes, Projektleiter des in Tunesien residierenden Libyen-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Denn die Wahlen sind ja aus politischem Opportunismus gescheitert. Eine ganze Reihe führender Akteure klammert sich an die Macht und versucht, die Wahlen zu unterbinden."
Dass viele Politiker weiterhin das eigene über das nationale Interesse stellen, hat Auswirkungen. Und die Libyer bekommen sie seit Jahren zu spüren. Zwar leben sie in einem potentiell wohlhabenden Ölstaat, doch der versagt klar erkennbar an vielerlei Fronten.