
Lateinamerika: Deutschland verliert den Anschluss
DW
Lateinamerikas Volkswirtschaften suchen verstärkt die Kooperation mit China. Europa und Deutschland tun sich schwer, dem ein eigenes Konzept entgegenzustellen.
Immerhin war es eine wichtige Geste der deutschen Regierung: Bundeskanzler Olaf Scholz hatte vor wenigen Wochen Argentiniens Präsidenten Alberto Fernandez als Gast zum G7-Gipfel nach Deutschland eingeladen . Doch nun kommt für die Europäer und den sogenannten Westen eine schlechte Nachricht. Argentinien zieht es in die BRICS-Gruppe. Die besteht bislang aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.
Trotz aller wirtschaftlichen Probleme, die Argentinien derzeit mit Dauer-Inflation und hoher Armutsrate zu verzeichnen hat, wäre das für die BRICS-Gruppe mehr als nur ein Image-Gewinn. Denn Argentinien verfügt unter anderem über hohe Lithium-Vorkommen, den Rohstoff, der unter anderem für die Produktion von Akkus für E-Autos notwendig ist. Kurzum: Der Zukunftsmarkt Argentinien orientiert sich um.
"Ich glaube, die Bundesregierung wartet und hofft auf eine Abwahl des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Ich hoffe, dass dann die Aktivitäten, stärker um Südamerika zu werben, rasch in Gang kommen", sagt der in Argentinien ansässige Wirtschaftsexperte Carl Moses im Gespräch mit der DW. Tatsächlich sind derzeit die Aktivitäten rund um den EU-Mercosur-Freihandelsvertrag auf Eis gelegt. Der lag eigentlich unterschriftsreif vor, wurde dann aber von den Europäern gestoppt.
Grund dafür ist die umstrittene Amazonas-Abholzungspolitik des amtierenden rechtspopulistischen Präsidenten Bolsonaro. Sein in den Umfragen führender linksgerichteter Herausforderer Lula da Silva, der Brasilien von 2003 bis 2011 schon einmal regierte, verspricht im Wahlkampf die Weichen für eine Null-Abholzungspolitik zu stellen. Sollte allerdings Bolsonaro die Wahlen gewinnen, stände Europa in puncto Freihandelsvertrag mit dem südamerikanischen Staatenbund plötzlich ziemlich blank da. Kritiker werfen den Europäern ohnehin vor, eine Chance verpasst zu haben. Mit dem Freihandels-Vertrag hätte Druck auf Bolsonaro ausgeübt werden können.
Deutschlands Ampel-Regierung hat Lateinamerika bislang die kalte Schulter gezeigt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) war seit ihrem Amtsantritt noch nicht in diesem Teil der Welt. Angesichts der sich verändernden Kräfteverhältnisse auf den globalen Märkten, dem deutschen Hunger nach Rohstoffen wie Lithium oder Gas, wäre aber eine angepasste Lateinamerika-Strategie dringend notwendig.
