Konfusion nach der Kür
Süddeutsche Zeitung
Eine abgesagte Siegerehrung und viele offene Fragen: Haben die Winterspiele in Peking einen prominenten Dopingbefund? Das russische Eiskunstlauf-Team muss auf die Gold-Medaille wegen "rechtlicher Verwicklungen" warten.
Die amerikanischen Eiskunstläufer hatten schon ihren feinen Zwirn angelegt, die Teamanzüge für die Medaillenzeremonie am Dienstagabend. Dann ertönte plötzlich das Kommando zum Abbruch. Die US-Auswahl hatte bei dem feierlichen Anlass eigentlich ihre Silbermedaillen entgegennehmen sollen, für ihre Darbietungen im Teamwettkampf. Die Athleten werden dafür eigens aus dem Olympischen Dorf auf ein Areal nahe des National Aquatics Center gefahren, dem aus Funk und Fernsehen bekannten Wasserquader der Sommerspiele 2008, der in diesen Tagen zum Eisquader und zur Heimat der Curler umgewidmet wurde. Und nun also, kurz vor der Abreise: Zeremonie verschoben auf unbestimmte Zeit, ohne Angabe von Gründen.
Russland vor den USA und Japan, so hatten sie sich am Montagabend noch bei der ersten Siegerehrung, der sogenannten Flower Ceremony, aufgestellt, kurz nach Ende des Teamwettkampfs. Ob dieses Bild auch den finalen Ausgang dieses Wettstreits spiegeln wird, war am Mittwoch in Peking aber noch ziemlich ungewiss. Ebenfalls unklar war, ob diese Winterspiele ihren ersten Positivbefund haben, der mal nicht aus einem Corona-Testlabor stammt. Mehrere Medien berichteten zunächst, dass es tatsächlich zu einem positiven Dopingtest gekommen war, und zwar in der russischen Mannschaft - in jener Auswahl, die in Peking weder in handelsüblichen Uniformen noch mit eigener Hymne und Flagge antritt, wegen des staatlich gelenkten Dopingskandals rund um die Winterspiele 2014 in Sotschi.
Eine große Staatsdopingsause wie 2014 soll es diesmal nicht geben. Aber wie sauber oder nicht sauber diese Winterspiele in Peking sind, erfährt die Welt leider erst in ein paar Jahren. Kommentar von Johannes Aumüller
Die Konturen des Falls zeichneten sich am Mittwoch noch bruchstückhaft ab. Mark Adams, der Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees, sagte bei der täglichen Presserunde, dass der Absage der Siegerehrung "rechtliche Verwicklungen" zugrunde lagen - die Causa entwickle sich erst, er könne "nicht viel" dazu sagen. Beziehungsweise: gar nichts. So hielten es auch der Weltverband ISU und die russische Eissport-Föderation. Russische Reporter trugen den Fall sogar an Dmitri Peskow heran, den Sprecher von Russlands Staatschef Wladimir Putin. Peskow mahnte aber auch nur an, weitere Auskünfte der Offiziellen abzuwarten, die bis zum Mittwochabend auf sich warten ließen.
Laut mehrerer Berichte, sowohl in englischen als auch russischen Portalen, handele es sich um einen Test, der vor dem Wettkampf genommen wurde. Und die rechtlichen Verwicklungen? Die könnten darin wurzeln, welche Konsequenzen der Positivtest eines Einzelnen in einem Teamwettbewerb nach sich zieht. Artikel 10.2 im Regelheft der Welt-Anti-Doping-Agentur diktiert, dass schon "mehr als zwei" Mitglieder einer Mannschaft wasserdicht überführt werden müssen, ehe die Auswahl sanktioniert wird. Dies gilt aber nur für Teamsportarten. In Einzelsportarten, die Teamwettkämpfe austragen - wie die Eiskunstläufer - ist die Hürde niedriger. Das ist in den Anti-Doping-Regeln der ISU festgezurrt, Artikel 11.2: Ein Fall "während oder in Verbindung" mit einem Event hat demnach zur Folge, dass die gesamte Mannschaft aus der Wertung genommen wird. Es sei denn, der betroffene Athlet kann nachweisen, dass er weder "nachlässig" noch schuldhaft gehandelt hat.