Kompliziertes Biest
Frankfurter Rundschau
Bei Manchester United sieht sich Ralf Rangnick mit vielfältigen Problemen konfrontiert. Ahnt der Fußballprofessor, auf was er sich da einlässt?
Ralf Rangnick saß noch nicht auf der Bank von Manchester United im Spiel beim FC Chelsea (1:1) am Sonntag, doch seinen Einfluss glaubten viele Beobachter schon zu erkennen. Anstatt im üblichen 4-2-3-1 spielte Englands abgestürzter Rekordmeister in einer Formation mit zwei Stürmern. Der fünfmalige Weltfußballer und zu dieser Saison ins Old Trafford zurück gekehrte Volksheld Cristiano Ronaldo saß nur auf der Bank. Die Fachwelt diskutierte, ob Rangnick die Aufstellung schon vor seiner Ankunft angeordnet hätte. Nein, nein, versicherte Michael Carrick, der Manchester United nach dem Aus von Trainer Ole Gunnar Solskjaer zuletzt betreute, die Umstellung und Ronaldos Verbannung aus der Startelf seien seine – Carricks – Entscheidungen gewesen.
Ob das stimmt oder nicht – fest steht, dass die Formation gegen Chelsea ein Hinweis darauf war, was kommen dürfte unter Rangnick, dem neuen Interimstrainer von Manchester United für den Rest der Saison mit anschließender Berater-Funktion. Der Ex-Bundesliga-Coach und Taktik-Guru bevorzugt ein 4-2-2-2 und setzt auf intensives Pressing. Für dieses ist Ronaldo nur bedingt geeinigt, trotz seiner individuellen Klasse und seiner formidablen Torbilanz von zehn Treffern in 15 Spielen seit seiner Rückkehr zu Manchester United. Ob es Rangnick gelingt, die Saison des Premier-League-Achten zu retten, wird maßgeblich von seinem Umgang mit Ronaldo abhängen. Schafft er es, den Portugiesen in sein System einzubauen? Und, falls Ronaldo wie gegen Chelsea auf der Bank landet: Wie moderiert Rangnick die atmosphärischen Störungen, die sich daraus ergeben dürften?
Rangnick hatte bei seinen Stationen in Deutschland oft beinahe schrankenlose Befugnisse, doch Manchester United ist ein „different beast“, wie man in England sagt, ein Monstrum aus einer anderen Gewichtsklasse. Der Trainer muss sich mit den in Florida ansässigen und beim Publikum verhassten Besitzern arrangieren, der Glazer-Familie. Die operative Führung des Klubs befindet sich im Umbruch. Geschäftsführer Ed Woodward wird seinen Posten in Kürze räumen. Die Direktoren Darren Fletcher und John Murtough sind erst seit März im Amt. Trainer-Ikone Sir Alex Ferguson ist im Verein immer noch eine wichtige Stimme. Der Lärm, der um den englischen Rekordmeister herrscht, ist mit kaum einem Klub im Weltfußball vergleichbar. Ex-Spieler wie Gary Neville, Rio Ferdinand, Roy Keane oder Paul Scholes sind prominente TV-Fachleute. Ganz nebenbei trauern sie ihrem Ex-Mitspieler Solskjaer hinterher. Rangnick muss sich durch ein Geflecht aus Zuständigkeiten und Einflüssen manövrieren, wie er es bisher noch nicht erlebt haben dürfte.