
Ist das eine Fassadenrenovierung? Nein, das ist Kunst
Die Welt
Vor gut 60 Jahren verhüllte Christo die Berner Kunsthalle – ein ästhetisches Happening. Zu erklären gab es nichts, nur zu schauen. Jetzt hat Ibrahim Mahama das Museum wieder verpackt, doch diesmal ist Ästhetik ideologischer Verbrämung gewichen.
Vor gut 60 Jahren verhüllte Christo die Berner Kunsthalle – ein ästhetisches Happening. Zu erklären gab es nichts, nur zu schauen. Jetzt hat Ibrahim Mahama das Museum wieder verpackt, doch diesmal ist Ästhetik ideologischer Verbrämung gewichen. Es ist auch schon wieder ein halbes Jahrhundert her, dass ein langhaariger Künstler mit dem feierlichen Namen Christo an den Fassaden der Berner Kunsthalle emporkletterte und sie bis übers Dach mit Planen verhüllt hat, dass es aussah, als habe sich der im klassizistischen Bürgerstil thronende Bau in eine monumentale Umkleidekabine zurückgezogen. Damals war man wirklich auf alles gefasst. In halb Europa zogen Studenten mit linken Parolen durch die Städte, was sich angesichts der juvenilen Wählergunst für die AfD heute wie ein Märchen anhört. Aber es war so, und die Künstler und Künstlerinnen skandierten mit. Der Konzeptkünstler Michel Heizer ließ das Trottoir vor der Kunsthalle zertrümmern. Drinnen spritzte der Bildhauer Richard Serra heißes Blei an die Wand. Wehrhafte Eidgenossen fuhren mit dem Traktor vor. Und die Appenzeller Zeitung meldete: „Die Antwort auf Mist: Mist“. Es war die Sturm-und-Drangzeit des legendären Ausstellungsmachers Harald Szeemann. Er gab Christo das Verhüllungs-Permit und er versammelte nur Monate später Straßenaufreißer und Bleispritzer in seiner berühmten Ausstellung „When Attitudes Become Form.“ Eine explosive Mischung, wie er selbst bekannte: „In einigen Fällen sind es nicht rein visuelle Erfahrungen, die den Wunsch, Werke zu kreieren, ausgelöst haben. Hippietum, Rockerexistenz, der Gebrauch von Drogen mussten sich früher oder später auf das Verhalten einer jüngeren Künstlergeneration auswirken.“ „Happening“, sagte man seinerzeit dazu. Kann man Happening wiederholen? Abermals ist die Berner Kunsthalle verpackt oder verhüllt oder besser eingetütet worden, jedenfalls auf Zeit hinter grob zusammengenähtem Sackleinen verschwunden. Wer auf der steilen Kirchenfeldbrücke über die grünblaue Aare spaziert, sieht die Stoffmassen, die etwas schlaff vom Dach hängen, schon von Weitem. Man denkt einen Augenblick an eine Schutzmaßnahme bei der Fassadenrenovierung. Da es aber die Kunsthalle ist, muss es sich um Kunst handeln. Also heißt der neue Christo Ibrahim Mahama, ist 1987 in Ghana geboren und kennt die Erstverpackung des Hauses nur vom Hörensagen und von ein paar Abbildungen. Dafür kann er nichts. Und es ist ganz allein unsere Schuld, dass wir schon vor 57 Jahren die Kirchenfeldbrücke entlangspaziert kamen, als Christo seine famose Weltverpackungskarriere begann, und nun mit gelinder Verwunderung registrieren, wie die Karriere Schule macht.
