Interpol-Generalsekretär: "Wir haben die Souveränität unserer Mitgliedstaaten zu achten"
DW
Über Interpol wurde 2021 auch nach Oppositionellen gefahndet, etwa dem Russen Alexej Nawalny oder der Belarussin Swetlana Tichanowskaja. Wie geht Interpol damit um? Generalsekretär Jürgen Stock im DW-Interview.
Jürgen Stock ist seit 2014 Generalsekretär von Interpol. Die DW hat mit ihm über die Roten Ausschreibungen der internationalen Polizeiorganisation gesprochen. Eine "Red Notice" wird von Interpol auf Antrag eines Mitgliedslandes erlassen und basiert auf einem nationalen Haftbefehl. Sie ergeht an Polizeibehörden weltweit. Unter anderem postsowjetischen Ländern, allen voran Russland, wird vorgeworfen, diese internationale Fahndung politisch zu missbrauchen.
Deutsche Welle: Interpol war jüngst in den Schlagzeilen. Auf der Generalversammlung in Istanbul ist ein neuer Präsident gewählt worden, Generalmajor Ahmed Nasser al-Raisi aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ihm wird Beteiligung an Folter vorgeworfen. Wird Interpol durch die Vorwürfe geschwächt?
Jürgen Stock: Die Vorwürfe sind uns natürlich bekannt. Sie sind auch schwerwiegend. Allerdings gilt auch für al-Raisi ohne Abstriche die Unschuldsvermutung. Er ist gewählt worden mit überwältigender Mehrheit durch die Generalversammlung von Interpol. Ich schaue nach vorne und setze die erfolgreiche Arbeit, die ich hier seit 2014 leiste, in der Modernisierung der Organisation mit dem Exekutivkomitee fort. Unsere Aufgabe ist es, die 195 Mitgliedsstaaten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, organisierte Kriminalität und Cybercrime miteinander informationell zu verbinden.
Wir haben ein begrenztes Mandat. Wir haben uns Kraft unserer Verfassung aus Deliktsbereichen herauszuhalten, die überwiegend einen politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakter haben. Es ist aber wichtig, dass innerhalb dieses begrenzten Mandats alle Staaten, egal welchen politischen Systems, zusammenarbeiten. Weil alle Lücken, die wir in der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit lassen, durch Straftäter und Terroristen gnadenlos ausgenutzt werden. Aber wenn die Staaten Interpol nutzen, haben sie unsere Regeln strikt einzuhalten.
Menschenrechtsaktivisten und Experten kritisieren Interpol seit langem dafür, dass autoritäre Länder Interpol für politische Zwecke missbrauchen, um Oppositionelle zu verfolgen, und zwar mit Hilfe sogenannter "Red Notices". In den vergangenen Jahren ist ihre Anzahl sprunghaft gestiegen. Wie viele solcher Ausschreibungen erhält Interpol jährlich und wie viele davon werden als politisch motiviert eingestuft und abgelehnt?