Im Kolosseum aus Schnee und Eis
Süddeutsche Zeitung
Rekord-Preisgeld trotz Pandemie-Sorgen: Auch in diesem Jahr werden die Abfahrer auf der Streif in Kitzbühel wie Gladiatoren gefeiert - dabei werden viele Fahrer zunehmend schlechter entlohnt.
Im vergangenen Herbst musste der Skirennfahrer Dominik Schwaiger mal wieder das Klebeband rausholen. Er riss ein Stück ab, pappte es auf die Stirnseite seines Helms. An eine der wenigen Stellen also, auf denen die Fahrer auf ihren durchtapezierten Outfits ihre eigenen Gönner präsentieren dürfen. Es ist zugleich eine der lukrativsten Werbeflächen, sie ist ständig prominent zu sehen, in Interviews, bei Fotoshootings, während des Rennens. Je nachdem, was dort klebt, erzählt das auch einiges über den Wert eines Sportlers, zumindest in der Logik des Sportkapitalismus. Und nun also, bei Schwaiger, hatte sich vor dem Winter kein zahlungskräftiger Partner gefunden, wie vor vier Jahren schon einmal. Also holte der 30-Jährige wieder das Klebeband heraus, malte ein Fragezeichen auf den Helm, verwandelte sich in ein fahrendes Inserat: Abfahrer mit soliden Weltklasse-Referenzen sucht Unterstützer.
An diesem Wochenende werfen sich die Skirennfahrer mal wieder auf die vom Mythos umwaberte Streif-Abfahrt in Kitzbühel, erst am Freitag und dann noch einmal am Sonntag (weil es am Samstag knapp einen Meter schneien soll). Die Streif knüpft auf 3300 Metern eine Gemeinheit an die nächste, sie lebte schon immer von der Faszination, dass eben nicht alle Waghalsigen heile unten ankamen. Ein bisschen ist es tatsächlich noch immer wie im alten Rom, ein Kolosseum aus Schnee und Eis, aber immerhin haben sie in Kitzbühel ihre Protagonisten meist ganz ordentlich partizipieren lassen an diesem Geschäft mit der Gefahr. In diesem Jahr bringen sie erstmals eine Million Euro Preisgeld unter die Fahrer, bei insgesamt drei Rennen (am Samstag steht noch ein Slalom an), 100 000 Euro für die Sieger, der 45. erhält immerhin noch 1000. Auch das ein Novum.
Einen Sport auf der Kante etwas sicherer machen: Das war das Versprechen, als der Rücken-Airbag vor sechs Jahren im alpinen Weltcup eingeführt wurde - aber heute misstrauen ihm viele Skirennfahrer. Von Johannes Knuth
Jenseits dieser alpinen Kraftzelle sieht es freilich nicht ganz so rosig aus. Das erzählt wiederum einiges über eine Branche, der es zunehmend schwerer fällt, ihre Gladiatoren angemessen für das zu würdigen, was sie tun: Körper und Geist zu riskieren, sehr selten sogar ihr Leben.
Wer flüchtig in die Liste der Bestverdiener blickt, stellt fest, dass die Marktführer allein vom Preisgeld anständig leben können. Die Schweizerin Lara Gut-Behrami verdiente im vergangenen Winter am meisten von allen Athleten, mit 485 000 Franken; rund 100 000 Franken mehr als Alexis Pinturault, der damalige Gesamtweltcup-Sieger. Über die Sponsoren fließt noch ein Vielfaches mehr auf die Konten. Der Schweizer Marco Odermatt, der Ausnahmefahrer dieses Winters, listet auf seiner Website allein 20 (!) Premium-Partner: österreichische Energiebrause, deutsche Autos, Schweizer Uhrenhersteller. Auch die besten Alumni hausen nicht in Armut, der Österreicher Marcel Hirscher baut derzeit seine eigene Ski-Firma auf, Felix Neureuther arbeitet als TV-Experte, der Norweger Aksel Lund Svindal investiert in Start-Ups und Immobilien. Ein kleiner Zirkel, der ein bisschen wie die Schickeria funktioniert: Wer drin ist, ist drin, aber rein kommen nur sehr wenige.