Hunger, Kälte, Angst: ein Kriegstagebuch von 1944/45
DW
Während der NS-Besatzungszeit in den Niederlanden führte ein 19-Jähriger ein Tagebuch über seinen harten Alltag. Ein beeindruckendes Zeugnis, aus dem man nur eine Lehre ziehen kann: Nie wieder Krieg!
Montag, 20. November 1944: "Heute kaum etwas Besonderes", schreibt Jan Bazuin in seinem Tagebuch. Hunger, Kälte, Fliegeralarm scheinen für den 19-Jährigen im fünften Jahr des Zweiten Weltkriegs nichts Besonderes zu sein - Alltag eben. Die Einträge sind kurz und knapp, oft notiert er nur drei bis vier Sätze am Tag. "Jan Bazuin bleibt dabei ruhig und betrachtet die Geschehnisse nüchtern. Er sagt sich: 'Ich muss überleben und ich muss daran denken, dass es gut ausgehen wird. Ich darf den Kopf nicht hängen lassen'", fasst die Historikerin Dr. Barbara Beuys zusammen. Sie forscht zu der NS-Besatzung in den Niederlanden während des Zweiten Weltkriegs. 2012 erschien ihr Sachbuch "Leben mit dem Feind. Amsterdam unter deutscher Besatzung Mai 1940 bis Mai 1945". Aktuell beschäftigt sie sich unter anderem mit den Kriegs-Tagebüchern Jan Bazuin. Die drei Hefte, wurden gerade im deutschen C.H. Beck Verlag unter dem Titel "Jan Bazuin - Tagebuch eines Zwangsarbeiters" veröffentlicht. "Die Einstellung des jungen Jan Bazuin spiegelt die Einstellung der niederländischen Gesellschaft wider", meint Beuys. "Auch in anderen Tagebüchern aus der Zeit liest man Ähnliches, dass es ganz fürchterlich sei, von den Deutschen überfallen worden zu sein, dass man aber versuchen müsse, pragmatisch und realistisch damit umzugehen", so Barbara Beuys, die im Zuge ihrer Recherchen zahlreiche Erlebnisberichte gelesen hat.
Am 10. Mai 1940 überfällt die deutsche Wehrmacht die Niederlande, Rotterdam - Jan Bazuins Heimatstadt - wird massiv bombardiert, das ganze Land besetzt. Vier Jahre harrt er in der Stadt aus - auf der ständigen Suche nach Essen und Holz zum Heizen.
"Dieser Tage bin ich auf Kartoffelsuche gewesen. Ich werde sie nicht ausführlich beschreiben, denn ich hab schon mehr als genug davon. Es waren Tage voller Hunger, Kälte und Elend. Es gab keine Kartoffeln zu kaufen", schreibt Jan Bazuin im Winter 1944.
Die Anspannungen innerhalb der Familie wachsen, Vater und Sohn kommen nicht miteinander aus. Bazuin senior droht, Jan von den Deutschen abholen zu lassen, wenn er nicht auszieht. Schließlich wird der junge Niederländer, der einer ersten Razzia entgangen war, für den Arbeitseinsatz in Deutschland zwangsverpflichtet. Es folgen 75 Stunden eingepfercht in einem Güterwaggon - ohne etwas zu essen oder zu trinken.
"Was für eine Nacht war das. Eine, die man nie vergisst. Kälte und Wind, Krankheiten und Gefluche, nein, das ist wirklich das Allerletzte. Genau gezählt sitzen 53 Mann in unserem Waggon. In der letzten Nacht hatte einer von ihnen einen Nervenzusammenbruch. Drei liefen regelmäßig zur Tür wegen Dysenterie (Durchfall). Zwei Jungs von gerade mal 16 Jahren haben die ganze Nacht geweint", so beschreibt Jan Bazuin die Höllenfahrt von Rotterdam nach Bayern. Und weiter: "Wenn einer niemals zuvor Angst hatte, dann lernt er in Deutschland das Fürchten."