Handball-Bundestrainer Gislason: Die Ruhe des Vulkans
Frankfurter Rundschau
Handball-Bundestrainer Alfred Gislason bleibt trotz des EM-Ausscheidens gelassen - manch langjähriger Wegbegleiter kann es kaum glauben.
Es gibt ihn noch, diesen altbekannten Alfred Gislason, der wild gestikulierend am Spielfeldrand steht und von einer auf die andere Sekunde explodieren kann wie ein Vulkan auf seiner Heimatinsel Island. Aber er ist seltener geworden. Bei der 21:25-Niederlage gegen Schweden am Sonntagabend regte sich der Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft in der zweiten Halbzeit furchtbar auf, als seine Schützlinge mehrfach durch schlampige Pässe Chancen im Gegenstoß ausließen.
Die Niederlage gegen die Skandinavier zerstörte vor dem finalen Match gegen Russland am Dienstag (18 Uhr) die letzte theoretische Hoffnung, bei der Europameisterschaft in der Slowakei und Ungarn das Halbfinale zu erreichen. Für den erfolgsverwöhnten Gislason ist es ungewohnt, nicht zur Spitze zu zählen, aber in den Tagen von Bratislava hat der Bundestrainer gezeigt, dass er eine Wandlung vollzogen hat und er der richtige Mann für den eingeleiteten Neuaufbau sein kann.
An dieser Fähigkeit gab es Zweifel. Henning Fritz, ehemaliger Weltklassetorwart und Weltmeister von 2007, verbalisierte sie unmittelbar vor dem Start der EM. „Wenn man sich für einen Umbruch in der Mannschaft und viele junge Spieler entscheidet, ist Alfred Gislason dann auch eine zukunftsorientierte Lösung?“, fragte er sich und sprach damit aus, was einige in der Handball-Welt dachten. Gislason war elf Jahre lang Trainer des THW Kiel, gewann in dieser Zeit Jahr für Jahr große Titel, allein dreimal die Champions League. Gislason kennt den Geschmack des Sieges, erreichte sie aber immer mit herausragend gut besetzten Mannschaften. Als Talententwickler trat er dabei kaum in Erscheinung.
Eben diese Eigenschaft ist aber nötig, wenn der deutschen Nationalmannschaft der Weg zurück in die Weltspitze gelingen soll. Nach den Olympischen Spielen in Tokio vor knapp einem halben Jahr gab es eine Zäsur innerhalb der Mannschaft, weil arrivierte Kräfte wie Uwe Gensheimer, Steffen Weinhold, Johannes Bitter und Hendrik Pekeler zurücktraten, beziehungsweise eine längere Pause ankündigten. Deutschland, das jeweils am Ziel gescheitert war, eine Medaille bei Großturnieren zu gewinnen, musste sich neu aufstellen – und die Verbandsspitze entschied sich dazu, dies mit dem 62-jährigen Isländer zu tun. Der Vertrag mit Gislason wurde vor der EM bis 2024 verlängert.
In Bratislava, wo die Deutschen in der Vorrunde drei Siege landeten, anschließend aber in der Hauptrunde dreimal verloren, hat sich gezeigt, dass dieser Entschluss richtig gewesen sein könnte. Die junge deutsche Mannschaft und der hochdekorierte Coach haben eine enge Bindung zueinander aufgebaut. Die Spieler glauben daran, was der Trainer ihnen vorgibt, was im Teamsport eine zentrale Voraussetzung für Erfolg ist. Gislason selbst hat sich neu erfunden, weil er sich damit arrangiert hat, nicht mit internationalen Topspielern zu arbeiten, sondern Akteure bei sich hat, die er möglichst auf dieses Niveau hieven soll.