Gegen alle Erwartungen
Süddeutsche Zeitung
Eine wie Vanessa Voigt hat es im deutschen Biathlon zuletzt nicht gegeben: Taucht im Weltcup auf, direkt zu Olympia, fast eine Medaille. Auf dem Weg hat ihr auch die Geschichte von Gewichtheber Matthias Steiner geholfen.
Wenn Vanessa Voigt an den olympischen Moment denkt, der sie als Kind am meisten geprägt hat, denkt sie an eine Turnhalle. Nicht an Schnee, sie hat nicht mal Skier im Kopf, dabei wäre es ein Leichtes, die Biathleten aus der näheren Umgebung aufzuzählen. Voigt kommt aus Seligenthal in der Nähe von Oberhof, aus der Region stammen so einige, die große Erfolge feiern konnten: Andrea Henkel, Kati Wilhelm oder Erik Lesser etwa. Ihren größten Fan-Moment aber, den hat Voigt beim Olympiasieg des Gewichthebers Matthias Steiner erlebt.
Voigt gehörte vor einem Jahr noch nicht zum deutschen Weltcup-Team, nun ist sie zum ersten Mal bei Olympischen Spielen dabei, gleich Vierte im Einzel geworden, und natürlich: Sie hat ein paar Tage gebraucht, um die ganzen Eindrücke zu verarbeiten. Auch wegen Corona. "Drumherum ist ja wirklich viel los mit all den Leuten, die wirklich total vermummt sind", sagt sie. Die weißen Männchen, die die PCR-Tests abnehmen, sie haben die 24-Jährige amüsiert. Ein bisschen aufregend ist das schon alles, aber aufregend waren für Voigt auch die vergangenen Jahre. Und dass die Biathletin nun in China am Start steht, hat auch damit zu tun, wie sie mit ihren Erlebnissen umgeht.
Peking, 2008: Matthias Steiner wird zum Gesicht der Spiele, es ist die Geschichte hinter seinem Gold, die viele bewegt. Weil er es nach dem Tod seiner Frau geschafft hat, weiterzumachen. Und jetzt, wo die begehrtesten Titel im Sport wieder in Peking und der angrenzenden Bergregion vergeben werden, ist Vanessa Voigt dabei, sie sagt: An Steiner habe man sehen können, "dass Kraft nicht immer nur mit Gewichte stemmen zu tun hat. Sondern, dass sich auch ganz viel im Kopf abspielt. Ich glaube, das ist bei jeder Sportart so."
Vor eineinhalb Jahren musste Voigt operiert werden, sie hatte einen Knorpelschaden in der Schulter, konnte den Arm nicht mehr heben. "Die Ärzte haben gesagt: Das mit dem Leistungssport stellen wir erst mal hinten an. Wir müssen erst mal schauen, dass es wieder so funktioniert", sagt sie. Mit zwölf Jahren war sie schon ans Ski-Internat gewechselt, für ihren Traum vom Biathlon.
Nach ihrem beeindruckenden Lauf im Einzelrennen sinkt Vanessa Voigt völlig erschöpft zu Boden.
